Intimpartner:innen-Stalking: Warnzeichen & Empfehlungen

Interview
Fragst du dich, wie Stalking in einer intimen Beziehung aussehen kann? Bist du dir unsicher, wie du eine Beziehung, in der du Warnzeichen erkennst, klar beenden solltest? Oder möchtest du dich darüber informieren, was Intimpartner:innen-Stalking so gefährlich macht? In diesem Interview spricht Sandra Cegla, Kriminalkommissarin a. D. und Gründerin von SOS-Stalking, über die häufigste Form des Stalkings und gibt wertvolle Ratschläge für Betroffene.
In diesem Gespräch werden Täter:innen oft in männlicher und Betroffene in weiblicher Form angesprochen. Trotzdem gilt: Jedes Geschlecht kann sowohl Täter:in, als auch Opfer sein – alle Kombinationen sind möglich.

Ich glaube, es ist wichtig einmal Intimpartner:innen-Stalking anzusprechen, weil es meines Wissens nach den größten Anteil ausmacht, den wir im Stalking-Verhalten finden.

Ja. Also die Statistiken sagen, dass im Bereich Stalking ungefähr 80 % aller Fälle von Intimpartner-Stalking ausgehen. Die Zahlen sprechen ja schon sehr für sich, dass das wirklich der klassische Kontext für das Thema Stalking ist. Es bleiben natürlich noch 20 % offen für alle anderen Variationen, beispielsweise ehemalige Freundinnen, innerhalb der Familie, Mutter-Tochter, dann innerhalb der eigenen Firma und da können dann auch Firmenchefs betroffen sein und so weiter. Es gibt ganz, ganz viele unterschiedliche Möglichkeiten und Settings, in denen Stalking stattfinden kann. Aber neben den offiziellen Zahlen, die sagen 80 % Intimpartner-Stalking, zeichnet sich das auch in unserer Klientinnen-Struktur ab.

Definiere bitte einmal, was alles unter Intimpartner:innen-Stalking fällt.

Intimpartner-Stalking bedeutet, dass vor allem das Stalking aus einer intimen Beziehung heraus entstanden ist. Das muss nicht zwingend eine Ehe mit Kindern gewesen sein. Das kann auch grundsätzlich eine lockere Verbindung gewesen sein. Das kann auch einfach nur eine erotische Bindung gewesen sein oder einfach nur ein Flirt, wo man sich einfach getroffen hat und sich was in Richtung Liebesbeziehung angebahnt hat, dann aber nicht zustande gekommen ist. Also, da gibt es unterschiedlichste Möglichkeiten, aber der Kontext ist schon irgendwie Liebe. Also, starke Emotionen, starkes Sich-zueinander-hingezogen-fühlen und ganz besonders eben in diesem Kontext: Der Täter fühlt sich sehr, sehr stark zur Betroffenen hingezogen.

Lässt sich erklären, wieso das den größten Anteil aller Stalking-Fälle ausmacht?

Ja, aus meiner Sicht lässt sich das erklären. Es ist aber meine ganz persönliche Meinung bzw. natürlich auch aus meiner ganzen Erfahrung heraus. Ich würde sagen, dass Gefühle von Liebe sehr, sehr starke Emotionen sind. Das ist mit das stärkste Gefühl, was wir Menschen empfinden können. Dass wir uns zu einem anderen Menschen wirklich massiv hingezogen fühlen und sich plötzlich unsere ganzen Gedanken nur noch um diesen Menschen drehen und den Wunsch, diesem Menschen nahe zu sein und das Leben zu teilen, in welcher Form auch immer, das ist sehr individuell. Aber die Gefühle, die dahinter stehen, sind immer extrem stark. Also, Liebe kann einfach das komplette Leben verändern. Erotische Anziehung löst ganz, ganz starke Gefühle aus. Und die Kehrseite: Massive Eifersucht und Ohnmachtsgefühle, Kontrollverlust bei Trennungen. Da würde ich sagen, das sind eigentlich die stärksten Emotionen, die wir Menschen erleben können. Und ich glaube, jeder, der sich zum einen schon mal verliebt hat und zum anderen entweder vielleicht auch unglücklich verliebt war oder eine Trennung hinter sich hat, weiß, dass wir an dem Punkt einfach am aller verletzlichsten sind. Und da gibt es keine Ausnahmen. Jeder Mensch ist einfach ganz, ganz stark emotional im Bereich der Liebe und ganz besonders eben im Bereich Liebesbeziehung aufbauen. Und wenn ich eine Trennung erlebe, dann geht es mir einfach wahnsinnig schlecht. Das kann mir komplett den Boden unter den Füßen wegreißen und meine Seele und meine Psyche total in Ausnahmezustände und in gefühlt existenzielle Krisen stürzen. Und dadurch, dass wir eben sagen, das sind die stärksten Gefühle, die wir haben können, die unser ganzes Leben verändern, beeinflussen, in alle Richtungen, lässt sich auch so ein bisschen erklären, dass auch gerade dieser Kontext für Stalking sehr anfällig ist. Dass gerade Täter, die extrem bindungsgestört sind, die starke Eifersucht, starke Emotionen haben, die durch diese Kränkung im Bereich der Liebe wirklich so einen massiven Kontrollverlust und so eine krasse Ohnmacht erleben, dass sie diesen Schmerz zu kompensieren versuchen mit der Stalking-Handlung. Also, für mich ist dieser Kontext schon sehr deutlich geworden über die Jahre.

Ist das ein Verhalten, was erst nach einer Zurückweisung oder nach einer Trennung erfolgt oder kann ich auch schon in der Beziehung erkennen, dass etwas nicht so gut läuft, wie es am Anfang schien?

Ja, zum einen ist es so, dass tatsächlich das Stalking meistens direkt nach der Trennung auftritt und da dann eben auch das Stalking wirklich losgeht. Es gibt Einzelfälle, in denen das Stalking schon innerhalb der Partnerschaft beginnt, wo der Täter beispielsweise eine unbekannte Tätergruppe konstruiert und Angriffe von außen konstruiert, aber eigentlich steckt er dahinter. Also, es gibt Einzelfälle, in denen das Stalking wirklich innerhalb der Partnerschaft schon beginnt und viel, viel später von den Betroffenen erst aufgedeckt wird, das sind aber nicht so viele. Normalerweise ist man wohlwollend noch in der Partnerschaft und das Stalking beginnt erst danach. Aber auch wenn wir oft noch nicht von Stalking sprechen innerhalb der Partnerschaft, ist es schon so, dass es Warnzeichen gibt. Warnzeichen sind manchmal On-off-Beziehungen, die meistens von großen Dramen geprägt sind, meistens sehr stark von Verlustängsten. Und meistens hat man es mit einer Person, also meistens dem Täter zu tun, der sehr ambivalent ist, sehr zugehend, Nähe suchend, dann wieder rausgehend. Also, dieses Hin und Her, On und Off. Meistens kommt von dem Täter eine sehr, sehr große Energie von Misstrauen: „Ich glaub dir nicht.” Übermäßige Eifersucht im Sinne von „Was machst du da, wo gehst du hin?” Dann schon innerhalb der Partnerschaft Kontrollversuche, die erstmal, gerade in der Phase der Verliebtheit, als romantisch gedeutet werden können: „Ich bin mit meiner besten Freundin im Café, oh, mein neuer Partner taucht hier auf. Oh, das ist ja nett von ihm.” Eigentlich ist es ein Kontrollversuch im Sinne von: „Ist sie wirklich da, mit wem trifft sie sich, sitzt sie wirklich mit einer Freundin oder mit einem Mann?” Also dieses, ich kann nicht vertrauen und übermäßige Eifersucht und übermäßiges Misstrauen und gleichzeitig aber Kontrollversuche. Oft ist es so, dass auch während der Partnerschaft das schon Themen sein können: „Ich habe in dein Handy geschaut”, was einfach eine totale Grenzüberschreitung ist und einfach nicht geht. Niemals in einer gesunden Partnerschaft. Und sobald diese Art von Grenzüberschreitung auftaucht, muss man sich wirklich Fragen stellen. Und im allerschlimmsten Fall passiert es auch in der Partnerschaft noch, dass sogar auch eine Spyware auf das Handy der Partnerin aufgespielt wird, die erst viel später entdeckt werden könnte beispielsweise. Also, es gibt schon ein paar Warnzeichen. Das heißt aber nicht, dass wenn ich diese Warnzeichen erkenne, dass es wirklich auch in Stalking münden muss. Das heißt aber, ich kann aufmerksam sein und mich sofort auch mit dem Thema auseinandersetzen und vielleicht schon Weichen stellen, um mich zu schützen. Wenn es nicht auftritt, umso besser. Und auch während der Datingphase, das ist nämlich der entscheidende Punkt, wenn ich da auf so eine Persönlichkeit treffe, wo ich merke, es ist zum einen schon auch sehr aufregend, aber Misstrauen, On-off, und irgendwas ist nicht stimmig, dann würde ich sagen, unbedingt die Finger davon lassen und versuchen, sich gar nicht zu sehr in diese Bindung herein zu begeben.

Diese Art von Kontrolle finden wir oft auch im Bereich der häuslichen Gewalt wieder. Kannst du erklären, inwiefern häusliche Gewalt auch eine Art Vorstufe von Stalking ist?

Häusliche Gewalt und Stalking sind sehr eng miteinander verwoben. In sehr, sehr vielen Fällen, in denen es innerhalb der Partnerschaft schon zu Gewalt gekommen ist, können wir eigentlich davon ausgehen, dass im Bereich der Trennungsgewalt dann auch Stalking mit dabei ist. Da ist leider tatsächlich ein sehr enger Zusammenhang. Und was wir eben auch wissen müssen, gerade das Intimpartner-Stalking ist eben auch so gefährlich, weil natürlich auch von Seiten der Betroffenen oft Emotionen im Spiel sind. Das heißt, sie fühlt sich ja auch gebunden und sie ist ja auch sehr verletzlich. Und sie ist dem Täter ja auch irgendwie mal zugewandt gewesen und ist es vielleicht in der Trennungsphase auch noch, was total menschlich wäre und sogar für ein gesundes Beziehungsverhalten oder Bindungsverhalten sprechen würde. Und das macht die Betroffenen sowieso doppelt und dreifach verletzlich, vor allem auch auf emotionaler Ebene. Aber rein faktisch, wenn ich einen gemeinsamen Haushalt hatte, hatte er Zugang zu all meinen Daten. Er kennt alle meine wichtigsten Punkte, er kennt meine Verletzlichkeiten, meine Kränkungspunkte und er kann auf alle meine Dokumente zugreifen. Vielleicht hat er auch Zugang zu meinem Handy, zu meinem Smartphone, zu meinem Laptop, zu meinem iPad. Also ich bin wirklich auch in einer Situation, in der der Täter ganz, ganz viel Insiderwissen über mich hat und ganz viel Schaden anrichten kann.

Ist dieses Insiderwissen eine Besonderheit und damit eine spezielle Gefahr von Intimpartner:innen-Stalking?

Absolut. Das kann zwar auch in Fällen von Cyberstalking auftreten, wenn ich gehackt werde und wenn irgendwelche Daten bekannt werden, die einfach nicht bekannt werden durften, also die sich der Täter quasi erschlichen hat oder sich kriminell einfach so angeeignet hat. Aber in Fällen von Stalking im Intimpartner-Bereich hat der Täter sie einfach und zwar freiwillig von mir, weil wir eine Vertrauensbasis haben und in Partnerschaften hat man einfach Vertrauen und Wohlwollen miteinander. Und besonders die Betroffenen haben das und die kommen überhaupt nicht auf die Idee, dass jemand so schäbig und bösartig sein könnte, diese Arglosigkeit auszunutzen und hinterrücks schon Kopien von wichtigen Daten, Dokumenten, Urkunden, meinem Online-Banking und allem zu machen, um das dann hinterher bei Gericht gegen mich zu verwenden oder das im Internet zu veröffentlichen oder in meinem Namen Straftaten zu begehen oder mit meinem Konto einkaufen zu gehen. Die Betroffenen selber kommen auf solche Ideen überhaupt nicht, weil sie es selber niemals machen würden, die Täter aber schon. Und die wissen das oft in der Partnerschaft schon und zu was sie ja fähig sind und haben ja diese kriminellen Gedanken im Grundsatz einfach im Kopf. Und das macht die Betroffenen doppelt und dreifach arglos und einfach wirklich verletzlich.

Was sind denn andere typische Stalking-Handlungen, die speziell mit Intimpartner:innen-Stalking verbunden sind, die Betroffene gar nicht gleich als solche wahrnehmen?

Also, die Täter machen viel auch erstmal im Verborgenen. Das heißt, wenn sie viele Daten haben und mich ausspähen, dann will er ja gar nicht, dass ich das mitbekomme, sondern er will ja alles mithören und mitschneiden und so weiter. Das heißt, es passieren tatsächlich erstmal viele Sachen im Verborgenen, die die Betroffenen manchmal viel später erst aufdecken. Und das eine ist natürlich erstmal Daten ausspähen und sie dann an anderer Stelle irgendwie gegen mich verwenden. Oft ist es so, dass die Täter sich über das soziale Umfeld auch nochmal Zugang zu weiteren Daten verschaffen und anfangen, auch das soziale Umfeld zu manipulieren. Und das hat für die Betroffenen gerade in der Trennungssituation massive Auswirkungen. Wenn meine beste Freundin sich plötzlich gegen mich wendet und das in der Situation, an der ich am allermeisten die Zuwendung und Unterstützung von ihr brauche und sie sagt „Du, da kann ich jetzt nicht mehr mitgehen”, weil sie vielleicht Lügen und Gerüchte vom Täter gehört hat, die auch sie kränken. Und die Täter sind ja schlau. Die erzählen ja nicht irgendwas, sondern die binden ja die Menschen ein. Sie sagen dann: „Du, ich muss dir mal im Vertrauen erzählen, also es ist nicht wirklich deine beste Freundin, weißt du, was sie mir alles erzählt hat? Mir hat sie erzählt, sie findet das nicht gut bei dir und so. Was, da habt ihr nie drüber geredet? Das hat sie dir nie gesagt? Sie findet es eigentlich voll doof und dass du übergewichtig bist oder dass du hier, dass du da.” Die Täter finden die Kränkungspunkte jeder einzelnen Person und gehen genau da rein und erzählen dann da die Lügen, die für die Betroffenen die allerschlimmsten sind. Und die beste Freundin, die dann selber so gekränkt ist und sagt: „Was, das denkt sie über mich?” Und ist dann so gekränkt, dass sie auch erstmal gar nicht auf die Idee kommt, zu sagen: „Komm, das klären wir, das könnte eine Lüge sein”, sondern wendet sich erst mal ab in ihrer eigenen Kränkung. Und mit dieser Masche gehen die Täter oft das ganze Umfeld durch. Und die Betroffenen selber sagen dann: „Ich verstehe das gar nicht, alle Leute wenden sich von mir ab.” Und das aber auch mit echten Inhalten, also mit Inhalten, die im Leben der Betroffenen ja auch wirklich echte Themen sind. Nur, dass der Täter sie aufgreift und in den völlig falschen Kontext setzt. Und das sind zum Beispiel Vorgehensweisen, die dann aber bei Gericht ganz schwer nachweisbar sind. Oder dann natürlich beim Finanzamt, beim Veterinäramt, Jugendamt, Meldungen machen, die nicht stimmen. Oder Gerichtsverfahren im Bereich des Sorgerechts anstreben, die völlig aus der Luft gegriffen, völlig frei erfunden sind. Aber trotzdem muss die Betroffene sich erstmal verantworten. Und sie steht trotzdem in einem Gerichtsverfahren, was sehr emotional ist. Also, die Täter haben ganz, ganz viele Ideen und sind da sehr kreativ in alle Richtungen.

Kannst du schildern, wie ich mich verhalten sollte, wenn ich noch in einer Beziehung stecke und ich schon gewisse Tendenzen bemerke? Und zum anderen, wenn ich schon aus dieser Beziehung raus bin?

Innerhalb der Partnerschaft sollte ich mir unbedingt klar machen, dass ich natürlich erstmal meinem Partner, meiner Partnerin gegenüber wohlwollend bin. Und zwar immer. Aber wenn ich bestimmte Sachen bemerke, Misstrauen, Kontrollversuche, Ambivalenzen vonseiten des Menschen, mit dem ich in einer Partnerschaft bin, dann sollte ich hellhörig werden, auf mein Bauchgefühl, meine Intuition unbedingt hören. Das ist nicht: „Ich bin komisch, weil ich irgendwas Komisches empfinde”, sondern wenn irgendwas in der Luft liegt, dann empfinde ich das. Meine Intuition ist viel größer als ich und als mein Bewusstsein. Das heißt, irgendwas ist im Raum und ich sollte es ernst nehmen. Und ich sollte mir dann alles ganz genau und objektiv anschauen. Im Sinne von „Ich gucke mal genau, ist meine Technik grundsätzlich sicher, habe ich denn vielleicht Passwörter weitergegeben?” Da würde ich sagen, also im Bereich der Technik, selbst in guten, gut laufenden Partnerschaften darf es nicht üblich sein, dass man Passwörter austauscht, dass beide Zugang zu allem haben. Also, meine Konten sind tabu, meine Finanzen gehören mir, mein Laptop ist tabu, der gehört mir, mein iPhone oder mein Smartphone, das gehört mir und da gehört niemand rein, Punkt. Auch in der Partnerschaft nicht, besonders nicht, wenn ich Warnzeichen wahrnehme. Dann sollte ich mal schauen, ist alles sicher um mich herum und mir alles genau anschauen. Und dann natürlich auch sich der Person gegenüber klar verhalten und auch konfrontieren. Und wenn dann die Situation auftritt, dass wir es gut klären können und dass es sich wirklich als Missverständnis herausstellt und die andere Person emotional auch gut damit umgeht, dann habe ich vielleicht eine Angst gehabt, die gar nicht der Realität entspricht. Wenn der Partner aber mega gekränkt ist und mir Vorwürfe macht und abstreitet und so weiter, dann ist das wieder ein Warnzeichen zu sagen: „Oh, da könnte was dahinter stecken.” Das ist oft von den Tätern vorgeschoben, dass sie sich so zu Unrecht beschuldigt fühlen, aber wenn sie so gekränkt reagieren, ist es oft so, dass sie es wirklich machen und dass wirklich was dahinter steckt. Von daher in der Partnerschaft unbedingt hellhörig werden und wirklich genau hinschauen, unbedingt. Und Technik absichern, unbedingt. Und auf der anderen Seite nach der Trennung wird es dann sehr individuell, wie die Täter dann im Grundsatz vorgehen. Und auch da ist natürlich das genaue Hinschauen, der Bewusstseinsprozess, andere von außen darauf schauen lassen, erstmal sehr, sehr wichtig, um sich überhaupt erstmal einen Überblick zu verschaffen. Und auch da ist es sehr wichtig, sich klar gegenüber der anderen Person zu äußern, bzw. auch zu verhalten. Und hier ist es sehr wichtig, weil die Täter, und das ist wirklich in mindestens 90 Prozent aller Fälle so, die Täter gehen auf die Betroffenen zu und wollen unbedingt nochmal eine letzte Aussprache. Obwohl man schon 20 Gespräche geführt hat und die Trennung eigentlich klar ist, erkennen die Täter die Trennung nicht an, sagen: „Du bist trotzdem meine Traumfrau und deswegen müssen wir noch was klären”, „Schulden sind offen” oder „Du hast es mir einfach nicht erklärt, ich verstehe es einfach nicht. Fragen aus unserer Beziehung sind offen, das ist deine Last, deine Schuld, du musst mir noch was erklären.” Die Betroffenen empfinden das oft sehr stark und wollen es eigentlich nicht, machen es dann aber doch, weil sie sich so eingeschüchtert fühlen, so bedrängt fühlen und weil sie manchmal einfach auch den Täter nicht verletzen wollen, und gehen dann zu dieser vermeintlich letzten Aussprache. Rein statistisch gesehen ist das der Zeitpunkt, in dem die meisten Tötungen oder Tötungsversuche passieren. Also, die letzte Aussprache ist das aller gefährlichste, was es in Stalking-Fällen geben kann und wirklich der gefährlichste Moment. Und deswegen rate ich grundsätzlich davon ab, so eine Art von letzter Aussprache zu machen, wenn ich einmal den Kontakt abgebrochen habe und wenn ich die Trennung klar ausgesprochen habe. Es ist egal, ob der Täter das versteht oder nicht und ob er Fragen offen hat oder nicht, es ist egal. Wenn ich mich entschieden habe, dass ich mich trennen möchte, habe ich mich entschieden, Punkt. Und wenn ich es klar und deutlich gesagt habe, reicht es im Idealfall einmal, im schlimmsten Fall auch zweimal, aber ich bin niemandem irgendwas schuldig. Wenn ich eine Partnerschaft nicht mehr möchte, habe ich das gute Recht, sie abzubrechen, aufzulösen und da rauszugehen und danach ein gutes Leben zu haben. Punkt. Das ist mir ganz, ganz wichtig. Die letzte Aussprache ist ganz gefährlich, niemals machen.

Wenn ich noch in der Beziehung bin und einen Verdacht habe, wie sollte ich vorgehen, um das Gespräch zu suchen?

Ja, das ist eine total gute Frage. Wir leben unser Leben ja vorwärts und können es meistens nur rückwärts verstehen. Das heißt, für uns ist es einfach, uns die Stalking-Fälle anzuschauen und zu analysieren. Wenn ich aber noch in der Partnerschaft bin und eigentlich das Thema Stalking noch gar keine Rolle spielt, vielleicht als kurze Idee, aber ich verwerfe sie wieder, weil wir sind ja noch in der Partnerschaft und ich bin noch im Wohlwollen. Es ist super schwer, dann schon die Klarheit zu haben, es könnte Stalking werden oder so. Es ist eigentlich kaum möglich. Es sei denn, ich habe Stalking schon mal erlebt und sehe sofort die Warnzeichen. Aber meistens sind die Betroffenen hier einfach noch ganz im Unklaren. Das heißt, sie sind in einer Situation, wo viele Möglichkeiten offenstehen, aber es ist einfach noch nicht klar, in welche Richtung wird es sich entwickeln und womit haben wir es hier wirklich zu tun. Deswegen rate ich grundsätzlich erstmal, unabhängig davon, ob es Stalking ist oder nicht, werden könnte oder nicht, in Trennungsgesprächen immer klar zu sein. Und wenn ich irgendwie das Gefühl von Ambivalenz in mir trage und schon merke, irgendeine Art von Bedrohlichkeit ist schon im Raum, dann ist es natürlich sehr sinnvoll, solche Gespräche auch mit mindestens einer dritten Person zu führen oder eben auch zu sagen: „Komm, wir machen das zu viert. Du hast eine Vertrauensperson dabei, ich habe eine Vertrauensperson dabei, dann haben wir automatisch auch gleich Zeugen. Wir versuchen das irgendwie vermittelnd, aber klar.” Das muss nicht anklagend sein, das muss auch nicht laut werden und das muss überhaupt nicht eskalieren, sondern es darf klar ausgesprochen werden, aber auch freundlich. Und wichtig ist aber, dass die Klarheit da ist, dass es hier ein Trennungsgespräch ist. Hier geht es nicht darum, dass wir unsere Partnerschaft aufleben lassen oder dass wir vielleicht, wenn wir Kinder haben, dass wir weiter als Paar bestehen bleiben, sondern es geht nur darum, dass wir Eltern bleiben, aber die Paarebene ist ja abgebrochen oder beendet. Oder eben auch, der Flirt hat nicht zu einem Was-auch-immer geführt. Das würde ich dann natürlich nur mit vier Personen machen, wenn es wirklich massiv von der anderen Person ausgeht. Aber eben nach einer Partnerschaft geht es um die Klarheit, die ist sehr wichtig.

Wenn mir klar geworden ist, dass ich von Intimpartner:innen-Stalking betroffen bin und diese ersten Warnzeichen erkannt habe, wo kann ich Hilfe finden?

Spezielle Hilfe gibt es zum einen bei unterschiedlichen Beratungsstellen, die sich auf das Thema Stalking spezialisiert haben. Das finde ich meistens im Internet für meine eigene Region heraus. Und da finde ich dann eben gerade im Internet auch raus, wer aktuell für das Thema Stalking Lösungsansätze hat und welche Beratungsstellen sich darauf spezialisiert haben. Bei uns findet man natürlich auch gute Hilfe, gerade dann, wenn es sehr komplexe und sehr schwierige Fälle sind, wo ich sage: „Ich habe schon ganz viel versucht und bin irgendwie nicht weitergekommen.” Dann, gerade im Bereich der Stalking-Intervention, ist ja dann die Polizei auch ein Ansprechpartner im Bereich der Strafverfolgung und dann natürlich auch das Kontaktverbot im Sinne von “Bannmeile” und der Täter darf sich nicht mehr nähern. Das sind alles erstmal so die wichtigsten Big Points, die für mich als Hilfe infrage kommen.

Vielleicht kannst du zum Schluss aus deiner Erfahrung noch etwas Wichtiges zu dem Thema mitgeben?

Ich würde unbedingt mit auf den Weg geben: Es ist total wichtig, das Thema ernst zu nehmen. Beim ersten Moment, wo ich auch nur darüber nachdenke, dass jemand Grenzen bei mir überschreitet und dass es sogar strafbar sein könnte im Bereich Stalking, das unbedingt ernst zu nehmen. Unbedingt auch andere Personen mit einbeziehen, Vertrauenspersonen mit ins Boot holen. Und ganz, ganz wichtig: In Fällen von Stalking treten immer Schuld- und Schamgefühle auf. Die Täter kriegen das hin, dass die Betroffenen sich schlecht fühlen. Schuld- und Schamgefühle sind eigentlich der Indikator, dass wirklich was schief läuft. Dass wir hier nicht mehr im gesunden Bereich sind, sondern dass hier irgendwas schief läuft, was ungesund ist und vielleicht mit Straftaten zusammenhängt. Besonders auch die Frauen, die wir begleiten, das sind meistens sehr gut sozialisierte Frauen, die empathiefähig sind, die Sozialkompetenz haben und die auch wirklich ein aufrichtiges Interesse daran haben, dass die Menschen, mit denen sie zu tun haben, dass es denen gut geht und dass die Bindung irgendwie gut funktioniert und dass man, wenn man schon auseinandergeht, im Reinen auseinandergeht. Und gerade das nutzen die Täter, um zu manipulieren, um diesen Rechtfertigungszwang auszulösen und so weiter. Egal, ob die Täter das bewusst oder unbewusst machen, sie machen es. Und bei den Frauen macht das Schuldgefühle: „Oh Mensch, ich darf mich eigentlich nicht trennen, damit geht es ihm so schlecht, aber ich will und darf ich das eigentlich?” Habe ich Schamgefühle im Sinne von: „Oh, habe ich Sachen wirklich nicht klar ausgedrückt, habe ich was falsch gemacht?” Gerade gut sozialisierte Frauen und Frauen, die eine hohe Sozialkompetenz haben, hinterfragen sich selbst, weil sie nicht wollen, dass sie jemand anderen verletzen. Täter nutzen das, deswegen sage ich auch immer, Schuld und Schamgefühle sind der Indikator dafür, dass hier Straftaten im Spiel sind, dass irgendwas passiert, was nicht in Ordnung ist. Und deswegen: Die natürliche Neigung ist, sich aus Schuld und Schamgefühlen zurückzuziehen, sich zu isolieren, lieber mit niemandem drüber zu sprechen: „Vielleicht decken die auf, dass ich was falsch gemacht habe, dass ich schuld bin.” Nein, Schuld und Schamgefühle heißen: Ich muss hellhörig werden. Irgendwas läuft schief, ich darf mir jetzt Hilfe holen. Unbedingt. Ich muss das auf keinen Fall alleine durchstehen und unbedingt Hilfe holen.
Hast du die in diesem Interview besprochenen Erfahrungen in gleicher oder ähnlicher Form selbst gemacht – oder kennst eine akut betroffene Person? Dann wende dich gerne an die hier hinterlegten psychologischen Ansprechpersonen oder eine Beratungsstelle. Auf beiden Wegen kannst du dich jemandem (anonym) anvertrauen und Unterstützung finden.

In diesem Interview hast du einige Informationen zum Intimpartner:innen-Stalking erhalten, um Warnsignale in der Beziehung frühzeitig zu erkennen und entsprechend zu handeln. Wenn du mehr rund um das Thema Stalking erfahren möchtest, stehen dir hierzu in dieser Mediathek weitere Interviews und Beiträge zur Verfügung.
Dieser Artikel wurde von Evermood erstellt und zuletzt am aktualisiert.
Universität Stuttgart

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