Achtsamer Umgang mit Sterneneltern für Nahestehende

Interview
Der Umgang mit Eltern, die ein Kind sehr früh verloren haben (auch Sterneneltern genannt), kann auch für nahestehende und angehörige Personen eine große Belastung sein. Doch wie können sie achtsam mit den Betroffenen kommunizieren? Und wie können sie sie gut im Alltag unterstützen? Diesen und weiteren Fragen widmet sich dieses Interview mit Ines Fuchs, einer Diplompsychologin, approbierten Psychotherapeutin und Fachbuchautorin.

Wieso ist die achtsame Kommunikation mit Betroffenen so wichtig und worauf sollten Angehörige sowie nahestehende Personen hierbei achten?

Also es ist so, dass das Umfeld nach so einer Situation oft überfordert und gleichzeitig sehr interessiert ist, die Betroffene:n zu trösten. Und das kann manchmal so ein bisschen nach hinten losgehen. Also, es wird dann die Situation so ein bisschen schön geredet, die natürlich nicht schön ist. Es wird z.B. sowas gesagt wie: „Du bist doch noch jung und kannst noch viele Kinder haben”, “Wenigstens hast du schon ein Kind” oder “Sei froh, dass das so früh passiert ist”. Und das ist eigentlich total nett gemeint, kommt aber überhaupt nicht gut an. Weil ein Kind natürlich nicht das andere ersetzt und das ist vielleicht für mich persönlich trotzdem jetzt eine schlimme Zeit und ich würde eher dazu raten, interessierte Fragen zu stellen und die Gefühle der Betroffenen so anzunehmen, wie sie in dem Moment sind. Weil der Verlust ist ja erstmal da und vielleicht sehr schmerzhaft ist. Und ich kenne vielleicht auch gar nicht alle Hintergründe. Vielleicht hat das Paar schon ganz lange versucht, schwanger zu werden oder es ist nicht der erste Verlust. Deswegen finde ich es hilfreicher zu sagen oder zu signalisieren: „Es tut mir total leid, was passiert ist – möchtest du davon erzählen?” Also wenn halt auch eine engere Verbindung da ist, dann eher praktische Unterstützung anzubieten. Es geht mehr darum, gerade am Anfang die Trauer gemeinsam auszuhalten, als eine neue Perspektive anzubieten. Und das ist gar nicht so leicht. Aber diese neue Perspektive müssen die Betroffenen selbst finden und das braucht ein bisschen Zeit. Ja, das ist aber auch nicht ganz einfach für die Angehörigen oder die nahestehenden Personen, finde ich.

Gibt es noch andere Mittel der Kommunikation, worauf nahestehende Personen besonders achten könnten?

Ich finde, je nach Art des Verlusts – das muss man da nochmal ein bisschen unterscheiden – und wie so der körperliche und seelische Zustand ist. Aber ich finde eigentlich so eine ganz konkrete Unterstützung im Alltag eine ganz tolle Sache. Und das ist ja was, was auch relativ einfach ist, das zu leisten. Auch wenn ich es vielleicht selbst schwierig finde, über so ein Thema zu sprechen. Ich würde dann vielleicht fragen: „Soll ich vorbei kommen, wir kochen was?” Oder so. Das ist auch nochmal besser als zu sagen: „Melde dich, wenn du Hilfe brauchst.” Das ist auf jeden Fall schonmal sehr gut, aber wirklich etwas ganz konkretes, wo die Person dann sagen kann: Ja oder Nein. Das ist ja natürlich auch in Ordnung. Oder – wir hatten es vorhin schonmal – vielleicht das Kind mit auf den Spielplatz nehmen, damit halt diejenige:n bzw. derjenige Zeit hat bzw. haben, sich ein bisschen auszuruhen. Und was auch schön sein kann, über die praktische Hilfe hinaus, ist vielleicht eine Karte und eine Blume mitzubringen, auch in Gedenken an das verlorene Kind. Und das ist schonmal super toll.

Also, den Verlust auch als solchen zu begreifen und Angebote zu machen?

Genau, den Verlust anzuerkennen, aber auch zu gucken, dass der Alltag stattfinden kann. Und das auch einfach – wenn vielleicht nicht so viel Energie und Kraft da ist – trotzdem das weiter funktioniert, dass was Warmes zu essen da ist.

Hast du eine Empfehlung oder einen Tipp, wie Angehörige Betroffene möglichst achtsam ansprechen können, dass sie sich Sorgen machen und gerne unterstützen würden – ohne dabei aufdringlich zu wirken?

Ich würde das auch tatsächlich so sagen. Da ist jetzt ja auch nichts dabei zu sagen: „Ich mache mir Sorgen.” Und auch diese Unsicherheit anzusprechen. Viele sagen dann auch, sie hätten gar nichts dazu gesagt, weil sie sich so unsicher gefühlt haben. Dann sag doch: „Ich bin total unsicher, – und öffne dich damit der Person – ich weiß nicht, ob dich das vielleicht verletzt, wenn ich das so und so sage.” Und sofort hat man irgendwie eine Brücke geschlagen und eine gemeinsame Kommunikation. Aber was mir da noch wichtig ist zu sagen – wir hatten auch schonmal darüber gesprochen, dass ja Trauer eine normale Reaktion ist und dass es auch kein Richtig und Falsch gibt bei Trauer. Und oft müssen sie sich auch keine Sorgen machen, sondern vielleicht erstmal akzeptieren, dass da jetzt die Trauer ist und die auch einfach dazu gehört und gerade bei späteren Verlusten sehen wir auch sehr lange und intensive Trauerphasen. Also da gehts auch eher darum, der Person den Raum zu geben und die Gefühle zu leben und nicht direkt zu sagen: „Ja es ist doch jetzt gut” oder „Du hast doch jetzt ein Kind oder bist wieder schwanger”, sondern eher diese konkrete Unterstützung anzubieten, aber auch nicht aufzudrängen. Die Person kann ja auch immer Nein sagen.

Vielleicht auch gar nicht zu bewerten, ob das jetzt ein normales Trauermaß ist oder nicht, sondern einfach unterstützend da zu sein?

Genau. Wenn ich mir nach einiger Zeit immer noch Sorgen mache, weil es ja schon sehr sehr lange dauern kann – ist auch schwer zu sagen, was ist lange, das ist ja auch sehr individuell. Aber wenn es so gar keine Momente der Freude gibt, dann würde ich auch mal vorschlagen, ob sie sich vielleicht professionelle Hilfe suchen möchten. Einfach so dieses: „Ich mache mir Sorgen, hast du darüber mal nachgedacht?” Und dann kann die Person damit immer noch anfangen, was sie möchte. Oder wenn jemand gar nicht mehr klar kommt, in einer ganz tiefen Krise ist, sich nicht mehr selbst versorgen kann, Selbstmordgedanken hat – das sind andere Sachen. Da würde ich dann irgendwie gemeinsam zur hausärztlichen Praxis oder direkt in eine psychiatrische Klinik fahren. Aber es ist auch okay, erstmal intensiv zu trauern – wir brauchen das auch in dem Moment.

Welche Möglichkeiten gibt es für Angehörige (z.B. Großeltern oder Geschwister), die eigene Trauer achtsam zu kommunizieren und Wege zu finden, den Verlust oder die Belastung gemeinsam zu verarbeiten?

Ja, zu den Großeltern vielleicht noch einen Satz: Die haben ja eigentlich so eine Art doppelte Trauer. Sie haben das Enkelkind verloren und sehen auch noch die eigenen Kinder leiden und haben oft auch das Bedürfnis, zu trauern. Gleichzeitig haben wir da auch unterschiedliche Generationen und ja, das ist jetzt auch wieder so eine Tendenz, aber ich würde schon sagen, dass es vielleicht gerade so älteren Generationen nicht so leicht fällt, auch so eine Trauer zu leben. Also es kann natürlich in Einzelfällen auch ganz anders sein. Und ja, das Problem, das wir da so ein bisschen haben: Die Trauer wird vielleicht ganz unterschiedlich ausgedrückt gelebt. Und dann ist es auch gar nicht so leicht, vielleicht ein gemeinsames Ritual oder einen gemeinsamen Weg zu finden. Da gilt das gleiche, was wir auch schon mit den Paaren besprochen haben in dem anderen Video, dass wir offen dafür sein sollten, dass es unterschiedliche Arten gibt, zu trauern. Und eher diesen Freiraum zu geben. Vielleicht kann ich auch gemeinsam eine Kerze anzünden, vielleicht ist es aber auch irgendwie nicht so passend. Oder ich mache gemeinsam einen Ausflug und rede da vielleicht nicht so drüber, weiß aber, irgendwie wir haben eine Verbindung; wir wissen, es ist eine schwierige Situation. Das finde ich ganz, ganz unterschiedlich, was das auch für eine Beziehung ist, die ich zu den Angehörigen habe.

Hilft es also, sich vorsichtig heranzutasten und herauszufinden, ob der Raum schon gegeben ist, die eigene Trauer anzusprechen? Oder sollte ich mir auch eigene Rituale suchen?

Genau, ich finde das auf jeden Fall wichtig, dass jede:r für sich einen Weg findet, zu trauern. Aber wenn ich jetzt eine gute Beziehung, z.B. zu meiner Mutter habe, und die ist auch traurig darüber, ist vielleicht auch entsetzt, dass wir eben gemeinsam auch trauern können. Und dass die Mutter das auch ausdrücken kann. Weil ich Trauer vielleicht um mein Kind und mir ist es wichtig, dass es auch meinen Eltern nicht egal ist, beispielsweise. Also ich finde, da kann man ruhig die eigene Betroffenheit signalisieren. Und das würde ich auch sagen, ist jetzt nicht überfordernd für die trauernde Person, sondern fast eher erleichternd, weil es ja die eigenen Gefühle irgendwie auch bestätigt und weil es ja auch zeigt, dass die ganze Familie ja auch eine Bindung zu diesem Kind irgendwie hatte – oder eine Hoffnung.

Also ist es eher positiv, dass der Verlust auch von anderen Personen als solcher anerkannt wird?

Absolut. Das macht den Verlust auch irgendwie wahr. Und dann fällt es mir vielleicht auch leichter, durch meine Trauer zu gehen. Ich dachte jetzt spontan an Fälle, die mir einfallen, wo das schwierig ist: Wo zum Beispiel die Großeltern mit einem verlorenen Kind gar nicht umgehen konnten, vielleicht auch überfordert waren, das vielleicht auch zu schlimm war und sie das Thema komplett vermieden haben. Und das ist unglaublich schmerzhaft. Also dann lieber sich mit seiner Unsicherheit und Trauer verletzlich zeigen.

Es gibt ja auch Nahestehende und Familienmitglieder, die nicht verstehen können, warum der Verlust eines Babys so schmerzhaft ist. Was würdest du Personen mit dieser Denkweise mitgeben, um das Empfinden der betroffenen Person ein bisschen nachvollziehbarer zu machen?

Also ich würde sagen, diese Denkweise ist ja per se erstmal nicht falsch, das ist ja die Meinung dieser Personen. Vielleicht ist das für die auch so oder sie hatten mal selbst eine Früh- oder Fehlgeburt und das war vielleicht keine schlimme Sache. Ich sage ja auch gar nicht, dass das unbedingt (von allen) schlimm erlebt werden muss. Was ich aber wichtig finde: Jede:r hat eben seine bzw. ihre eigene Lebensrealität, eigene Erfahrungen und eigenen Gefühle. Menschen gehen auch sehr unterschiedlich mit unterschiedlichen Arten von Belastungen um. Und wenn das jetzt so ist, dass eben z.B. mein Kind eine frühe Fehlgeburt hatte und ist da jetzt erstmal traurig und bestürzt darüber, dann ist das auch einfach so. Ich kann das auch nicht wegreden und es hilft auch überhaupt nichts, es wegzureden. Und das kommt dann eher nochmal so wie eine Reaktion verstärkt heraus. Ja, ich riskiere gegebenenfalls sogar den Abbruch der Beziehung, wenn ich damit gar nichts anfangen kann. Oder wenn das nicht nur bei dem Thema ist, sondern auch bei anderen (das wird dann auch nichts ganz neues sein, mutmaße ich mal). Also ich muss gar nicht unbedingt nachfühlen müssen, wie es der anderen Person geht, aber ich kann das respektieren, ich kann das so stehen lassen. Und das ist was, was uns auch super schwer fällt, wenn es für uns eben anders ist, weil es für uns vielleicht nicht so gravierend wäre oder in unserem Kopf auch nicht so gravierend wäre.

Also sollten andere anerkennen, dass auch, wenn sie selbst nicht dieses Empfinden haben, es unglaublich schmerzvoll für eine andere Person ist? Und es noch schmerzvoller ist, wenn es der Person dann abgeschrieben wird?

Absolut, ja.

Beschäftigt dich dieses Thema zur Zeit oder kennst du eine Person, die von diesem Thema betroffen ist? Dann findest du weitere Informationen hier in der Mediathek in Form von Beiträgen und Interviews und kannst dich natürlich auch jederzeit an die hier eingebundenen psychologischen Ansprechpersonen wenden. Für die Zukunft wünschen wir dir alles Gute!
Dieser Artikel wurde von Evermood erstellt und zuletzt am aktualisiert.
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