Digitale & analoge Stalking-Prävention

Interview
Fragst du dich, was du bei deinen Social-Media-Aktivitäten beachten solltest, um besser vor Stalking geschützt zu sein? Möchtest du wissen, was in deiner persönlichen Prävention vor Stalking grundlegend ist? In diesem Interview liefert dir Sandra Cegla, Kriminalkommissarin a. D. und Gründerin von SOS-Stalking, Antworten zu diesen und weiteren Fragen rund um den Schutz vor Stalking-Handlungen.
In diesem Gespräch werden Täter:innen oft in männlicher und Betroffene in weiblicher Form angesprochen. Trotzdem gilt: Jedes Geschlecht kann sowohl Täter:in, als auch Opfer sein – alle Kombinationen sind möglich.

Hast du aus deiner Erfahrung das Empfinden, dass Stalking heutzutage einfacher ist, als vielleicht noch vor 50 Jahren?

Ja. Auf jeden Fall. Natürlich – wir haben die ganze Digitalisierung auf unserer Seite. Und jemand, der stalken möchte, hat heute viel mehr Möglichkeiten. Wir können im Bereich Social Media so viele Informationen bekommen, die Menschen sogar freiwillig von sich preisgeben. Wir brauchen noch nicht mal danach zu fragen, jemanden hacken oder uns kriminell irgendwelche Daten zugänglich machen. Von daher gibt es viel mehr Möglichkeiten. Wir können viel leichter einsehen, mit welchen Personen sich der Mensch umgibt, mit wem er wann wie Kontakt hat, wo sie sich aufhält, an welchen Orten sie immer ist. Das wird ja oft verlinkt, dass man ein Selfie postet und sagt, ich bin im Café XY. Aha, sie ist also öfters da, da muss ich nur mal vorbeigehen. Man kann die ganzen Follower-Listen sehen und anschreiben, die Familie ist mit einem vernetzt, man kann an alle Leute ran. Das Internet ist ein Schlaraffenland für Stalker.

Was kann ich denn tun, um mich und meine Daten vor allem auf Social Media zu schützen?

Ganz wichtiger Punkt. Um den kommen wir alle nicht mehr rum. Es ist keine Alternative, sich komplett aus dem Internet rauszuziehen, um sicher zu sein. Das ist heute nicht mehr zeitgemäß, weil wir mittlerweile sogar einen großen Teil unserer Identität über Social Media, über bestimmte Plattformen im Internet ausleben. Und ein Stück weit ist das digitale Leben ein Teil unserer Identität geworden. Das ist heute nicht mehr wegdenkbar. Wir haben da unsere Gruppen, bestimmte Menschen, mit denen wir uns austauschen, Aktivitäten und Hobbies. Und nicht zu unterschätzen, es gibt ja mittlerweile ganz große Marketing-Möglichkeiten, wo Firmen, selbstständige Influencer:innen, Künstler:innen gar nicht mehr darauf verzichten können, über Social Media ihr Marketing zu betreiben. Das heißt also, Social Media ist wirklich ein ganz fester Bestandteil unseres Lebens- und Berufsalltags geworden. Wie wir unsere Familie, Hobbies und den Beruf organisieren. Deswegen ist das auch – finde ich – gerade auch in akuten Fällen überhaupt nicht mehr zeitgemäß zu sagen: Dann melde dich halt überall ab. Das ist auch keine Lösung mehr, auch nicht zur Prävention.

Prävention bedeutet eigentlich erstmal natürlich, mir ganz viele Informationen zu beschaffen und mich grundsätzlich mit dem Thema zu beschäftigen. Also das, was wir hier gerade machen, ist Prävention. Wir beschäftigen uns mit den wichtigen Basics, mit den wichtigen Fakten. Und das allein verändert schon viel. Wenn ich diese Information einmal aufgenommen habe und wenn ich einmal das Phänomen verstanden habe, werde ich es auch erkennen, wenn es mir begegnet. Das ist ein ganz großer Teil der Kriminalprävention, also viele Dinge einfach zu wissen. Und wenn ich dann aber natürlich nochmal schaue in den Bereich Social Media, mediales Auftreten, was gebe ich an Daten von mir Preis: Zum einen ist es wichtig, die Plattform die ich benutze, sollte ich wenigstens ein bisschen verstanden haben. Wenn ich auf TikTok unterwegs bin, sollte ich mich damit auseinandersetzen, wie das funktioniert, welche Menschen was von mir sehen können, welche Informationen ich preisgebe und welche Sicherheitseinstellungen möglich sind. Das gleiche gilt natürlich auch für Instagram, Facebook, usw. Ich sollte zumindest wissen: Wie funktionieren sie? Was können Menschen einsehen? Vor allem all diese Menschen, die in der großen, breiten Öffentlichkeit sind, die ich gar nicht persönlich kenne. Damit muss ich mich auseinandersetzen und meine Sicherheitseinstellung dementsprechend überprüfen. Je nachdem, aus welchen Gründen ich auf Social Media unterwegs bin. Dann kann ich schauen, ob sich nach dem letzten Update irgendetwas verändert hat, was ich gar nicht mitbekommen habe. Ganz wichtig ist auch, mich selber mal zu überprüfen und mein eigenes Profil durch die Brille eines Menschen anschauen, der mir nicht wohlgesonnen ist. Wenn es jemand wirklich auf mich abgesehen hat, weil er auf mich eifersüchtig ist (vielleicht Konkurrenz auf der Arbeit), eine Liebschaft, die ich nicht erwidern kann, etc. Was kann diese Person alles Privates über mich sehen? Was sieht sie von meinem privaten Zuhause? Was weiß diese Person über meine Liebesbeziehung? Was bekommt die Person mit, wo ich mich aufhalte? Welche Haustiere ich habe? Und mir dann natürlich die Frage stellen: Müssen das andere Menschen von mir wissen? Was kann man mit diesen Informationen anrichten? Im allerschlimmsten Fall – ich habe das immer wieder gesehen, dass natürlich auch Tiere vergiftet werden können, dass jemand dann vor der Tür stehen kann, wenn er rausfindet, wo ich wohne. Dass jemand natürlich an Menschen herantreten kann, mit denen ich zu tun habe. Also, solche Dinge einfach mal kurz durchdenken und überlegen: Muss ich das alles von mir Preisgeben? Oder vielleicht nicht?

Was ich auch sehr wichtig im Bereich der Prävention finde, ist: Wir haben es heute mit dem Phänomen zu tun, dass sich die Digitalisierung so rasant entwickelt, dass wir eigentlich – wenn wir nicht gerade vom Fach sind – kaum hinterherkommen. Es entwickeln sich täglich so viele neue Möglichkeiten, es sind so viele neue Features, **Möglichkeiten und was nicht alles. Wir kennen ja schon die Worte kaum noch. Wenn ich zwei Wochen mal nicht am Ball war, habe ich schon das Gefühl, ich bin abgehängt. Und gleichzeitig, während wir gerade miteinander sprechen, entstehen in diesen Minuten und Sekunden so viele neue Möglichkeiten, um im Internet Straftaten zu begehen. Wir können nicht mehr alles wissen, selbst ein einziges Smartphone, was wir uns anschaffen, können wir nicht mehr bis ins letzte Detail verstanden haben. Selbst die Einstellungen sind so, dass wir sie kaum noch verstehen und wir kaum wissen, was läuft im Hintergrund mit, an mobilen Daten, im Internet, was saugt sich das regelmäßig für Updates, usw. Und da finde ich es sehr, sehr wichtig zu sagen: Ich lasse mich davon nicht entmutigen, sondern manchmal ist es ermüdend und manchmal ist es wirklich so, dass man das Gefühl hat, dass man am liebsten alles lassen und sich gar nicht mehr informieren wollen würde. Und deshalb ist es wichtig, unbedingt am Ball zu bleiben. Und deshalb sage ich, sich auf keinen Fall entmutigen zu lassen und zu sagen, wir können eben einfach nicht mehr alles verstehen. Aber wir können offen bleiben für Veränderungen und wir können auch immer in unserer Intuition offen bleiben. Und wenn irgendetwas in unserem Umfeld passiert, gerade auch im Bereich Social Media und Digitales, was nicht in Ordnung ist, dann sollten wir unbedingt auf unser Bauchgefühl vertrauen. Wenn wir merken, irgendwas ist da komisch und da kommen komische Kommentare, irgendwas verändert sich, dann sollten wir genau hinschauen. Und uns dann mit genau dieser Thematik beschäftigen. Nachdem wir natürlich immer regelmäßig Updates gezogen und die Sicherheitseinstellungen überprüft haben, usw. Trotzdem dann, wenn irgendwas vorkommt, genau hinzuschauen. Und da würde ich sagen: Auch im Austausch mit anderen zu bleiben und sich irgendwie auch einfach immerhin weiterhin eine offene Haltung zu bewahren. Immer die offene Haltung zu bewahren und zu sagen: Ich bin bereit, mich immer mal wieder kurz mit meiner Sicherheit auseinanderzusetzen. Und dann kann ich es auch mal wieder ruhen lassen. Wir werden es in der digitalen Welt nicht schaffen, eine hundertprozentige Sicherheit herzustellen, dafür sind die Veränderungen zu rasant. Und eben auch die Möglichkeiten für Menschen, die kriminelles tun, sind einfach groß. Aber ich habe auch gute Möglichkeiten mich zu schützen. Und ich sollte mich in regelmäßigen Abständen damit auseinandersetzen und mich unbedingt nicht entmutigen lassen.

Das war jetzt der Bereich im digitalen Raum. Was können wir in der analogen Welt tun?

In der analogen Welt ist es fast schon ähnlich. Auch hier ist es so. Also, wir müssen einmal die Kriminalpsychologie von Stalking verstanden haben: Es gibt eben eine Person, die sich auf eine andere Person fixiert. Dann wissen wir auch, dass Stalking grundsätzlich immer im Analogen entsteht. Stalking entsteht immer im Kopf des Täters, das ist ja immer analog. Und ob wir uns jetzt im digitalen Kontext kennen oder aus der persönlichen Begegnung, spielt erstmal keine Rolle, weil Stalking erstmal immer beim Täter entsteht. Und wenn wir aus dieser Sichtweise, also ausgehend vom Täter, Stalking mal begreifen: Ich habe jetzt also einen Grund zum Stalken und das tue ich jetzt über das Digitale oder über eine persönliche Begegnung. Dann verstehen wir auch, dass die Strukturen, die dahinter stehen, eigentlich immer sehr ähnlich sind. Und grundsätzlich bedeutet das für mich, genauso wie im Digitalen, meiner Intuition zu vertrauen. Wenn ich merke, irgendwas ist komisch, darauf vertrauen. Hier kann ich aber im Präventiven auch sehr gut vorgehen, im Sinne von erstmal die Bindung zu mir selber gut zu pflegen. In dem Moment, in dem ich gut mit mir selber verbunden bin, werde ich überhaupt mitbekommen, dass im Außen etwas nicht in Ordnung ist. Auch hier geht es natürlich darum, mich erstmal über bestimmte Themen informiert zu haben. Also auch hier, wenn ich Dinge über Stalking weiß, werde ich es auch erkennen, wenn es mir begegnet. Gerade im Analogen würde ich sagen, wo wir jetzt über alles, was am Arbeitsplatz stattfinden kann, gesprochen haben, und wie verheerend sich das auswirken kann. Gute Bindungen und Vertrauen zu Menschen ist ein ganz guter Schutz. Das ist das A und O. Also aktiv gute Bindungen pflegen, aktiv mich selbst, mein Mindset und alles, was mit mir und meiner Selbstliebe auch zu tun hat, gut pflegen, dass ich in meinen Empfindungen gut bleibe, dass ich regelmäßig Gutes für mich tue, dass ich meine Intuition spüren kann und sofort mitkriege, wenn irgendwas nicht in Ordnung ist. Das ist auf jeden Fall eine sehr gute Prävention. Gerade vor dem Hintergrund, dass ich nämlich dann, wenn ich ja gut in meiner Intuition bin, Dinge nicht nur mitkriegen kann, sondern sie auch gut benennen und Gegenmaßnahmen einleiten kann. Gerade im Analogen geht es erst einmal auch um die Bindung zu mir selbst und unbedingt um die Bindungen um mich herum.

Es ist natürlich logisch, dass ich Dinge, die jetzt nicht normal oder anders sind als zuvor, viel besser feststellen kann, wenn mir bewusster ist, wie Dinge vorher abgelaufen sind.

Richtig. Und wir dürfen nicht vergessen: Stalking ist eine Beziehungstat. Beziehung mit mir, Beziehung mit anderen. Und viele Stalker arbeiten darüber, dass sie in meinem Umfeld meine Beziehungen kaputt machen. Entweder meine echte Liebesbeziehung, weil jemand da von außen rein will, und vielleicht auch die Beziehungen zu meinen Arbeitskollegen, zu meinem direkten Umfeld, zu meiner Familie, usw. Und das bedeutet, gerade weil Stalking eine Beziehungstat ist, ist natürlich die beste Prävention, gute, gesunde Beziehungen zu haben. In dem Moment, in dem ein Stalker anfängt, zu manipulieren und Gerüchte zu streuen, ist es natürlich essentiell, dass ich Vertrauensbindungen und -verhältnisse habe, wo die Menschen direkt auf mich zukommen und sagen: „Guck mal, ich habe das und das bekommen, die und die Nachricht bzw. Information über dich erhalten – stimmt das eigentlich?” oder „Du sollst das und das über mich gesagt haben, hast du das gemacht? Können wir mal reden?” Wenn wir kein Vertrauensverhältnis haben, werden die Leute nicht zu mir kommen, sondern sich abwenden und vielleicht sogar mit dem Täter verbünden. Wenn wir ganz gute Vertrauensverhältnisse haben, werde ich ganz früh bemerken: „Oh, irgendwas stimmt nicht. Da ist jemand, der macht irgendwas in meinem Umfeld. Ich habe sofort alles zurückgemeldet bekommen und kann sofort dagegen vorgehen.” Wirklich die beste Prävention in einer Beziehungstat sind gute Beziehungen pflegen.
Hast du die in diesem Interview besprochenen Erfahrungen in gleicher oder ähnlicher Form selbst gemacht – oder kennst eine akut betroffene Person? Dann wende dich gerne an die hier hinterlegten psychologischen Ansprechpersonen oder eine Beratungsstelle. Auf beiden Wegen kannst du dich jemandem (anonym) anvertrauen und Unterstützung finden.

Nun kennst du einige Ansätze, sowohl im digitalen, als auch im analogen Raum, die dir dabei helfen, besser auf mögliche Stalking-Handlungen vorbereitet zu sein oder diese sogar zu verhindern. Informiere dich gerne weitergehend zu diesem Thema hier in der Mediathek, z. B. in den weiteren Interviews oder Beiträgen.
Dieser Artikel wurde von Evermood erstellt und zuletzt am aktualisiert.