Wie Führungskräfte bei Konflikten & Mobbing richtig handeln

Interview
Jede Person, die schon einmal in einem Unternehmen gearbeitet hat, weiß, wie wichtig ein positives Arbeitsklima für Produktivität und Zufriedenheit der Mitarbeitenden ist. Doch was, wenn destruktive Dynamiken wie Mobbing diesen Frieden stören? Wie sollte ein Unternehmen darauf reagieren, insbesondere die Führungskräfte? Wie können sie Mobbing frühzeitig erkennen und effektiv dagegen vorgehen? In diesem Interview mit Mediatorin und Trainerin zu Kommunikations- und Konfliktfragen Nora Sinemillioglu erfährst du anhand konkreter Szenarien, welche Verantwortung Unternehmen bzw. Führungskräfte in einer Mobbing-Situation innehaben und welche Handlungsempfehlungen es für Führungskräfte gibt.

Warum ist es aus Unternehmenssicht wichtig, dass Mobbing im Unternehmen keinen Platz hat?

Also, gesunde Führung ist unglaublich essenziell, weil Arbeitgeber:innen einfach eine Fürsorgepflicht haben für ihre Arbeitnehmer:innen. Die müssen darauf achten, dass es Personen gut geht an ihrem Arbeitsplatz. Und das ist auch wirklich in ihrem Sinne. Denn nur wenn es Personen gut geht und sie sich wohlfühlen, können sie gute Arbeit leisten, können sie produktiv sein. Es ist also eine Win-Win-Situation. Es ist ganz interessant. Es gibt Zahlen dazu, dass der deutschen Wirtschaft jährlich 5 Milliarden Euro verloren gehen, einfach durch Mobbingfälle. Und Mobbing-Betroffene sind zum Beispiel auch zu 50 % höher bereit zu kündigen als andere Personen. Also, Fluktuation ist eine große Thematik für Unternehmen. Personen müssen immer wieder neu eingearbeitet werden, wenn man immer wieder neues Personal einstellen muss. Insofern ist es wirklich im Sinne auch der Arbeitgeber:innen, für ein gutes Arbeitsklima zu sorgen. Negatives Arbeitsklima, feindseliges Arbeitsklima führt dazu, dass es Menschen nicht gut geht an ihrem Arbeitsplatz und dadurch sind sie weniger motiviert. Sie sind öfter krank, sie sind weniger produktiv und der Arbeitgeber führt seine Schutzpflicht, seine Fürsorgepflicht nicht aus. Und insofern ist es eigentlich fahrlässiges Verhalten, also das Verhalten von Führungskräften in Konflikten allgemein und insbesondere in eskalierten Konflikten oder Mobbing-Situationen ist extrem wichtig.

Was für eine Bedeutung hat das Verhalten von Führungskräften bei Mobbing? Inwieweit haben sie eine Vorbildfunktion?

Das ist wirklich das zentrale Verhalten, auf das es ankommt. Führungskräfte verkörpern die Werte eines Unternehmens. Es sind die Personen, an denen sich ein ganzes Team orientiert. Und ich würde mich auf den Standpunkt stellen, dass, wenn eine Führungskraft sehr deutlich macht, dass Mobbing keinen Platz in diesem Team oder an dem Arbeitsplatz hat, dass dann auch kein Mobbing vorkommen kann. Das dürfen natürlich keine leeren Worte sein, das muss gelebt werden und es muss gefüllt werden mit Inhalten. Und was sind diese Inhalte? Also erst mal muss sich eine Führungskraft vorbildlich verhalten. Sie muss selber eine auch intrinsisch motivierte und authentische Haltung haben, dass Konflikte in Ordnung sind. Und muss in der Lage sein, problematische Situationen anzusprechen. Also die eigenen Konflikte, die womöglich aufkommen, mit den Mitarbeiter:innen ansprechen können, gut und professionell lösen können. Darüber reden, ohne wütend zu werden, sage ich mal, oder ohne eine Schuldzuweisung vorzunehmen, gegebenenfalls sich auch selber in Mediation begeben. Mit den eigenen Mitarbeiter:innen. Das ist also die Vorbildfunktion. Und gleichzeitig geht es darüber hinaus.
Führungskräfte können sich schulen lassen, was Konflikte angeht, also sich, was dieses Thema angeht, noch mal eine Expertise wirklich auch aneignen. Und sie können immer wieder deutlich machen, dass Konflikte nichts Schlimmes sind und dass sie sogar wichtig finden, dass es Konflikte gibt und dass es eher darauf ankommt, wie diese Konflikte bearbeitet werden. Und das reicht natürlich auch nicht, dass man das einfach sagt, sondern man muss sich das in Teamtagen erarbeiten. Es muss immer wieder Situationen geben, in denen nicht nur über Fachinhaltliches gesprochen wird, sondern in denen das Team Zeit hat, auf sich selbst zu gucken. Was läuft eigentlich gerade gut? Was tut uns gut und was läuft vielleicht nicht so gut? Wie ist eigentlich die Atmosphäre? Was wünschen wir uns? Wie läuft eigentlich die Zusammenarbeit zwischen uns? Wie wünschen wir uns unsere Zusammenarbeit? Also eine Führungskraft muss ihrem Team die Möglichkeit geben, die Zusammenarbeit zu gestalten und muss diesen Prozess natürlich moderieren und darauf achten, dass das, was sich das Team da an Regeln der Zusammenarbeit gegeben hat, auch eingehalten wird und immer wieder drauf geguckt wird. Also das ist wie eine Daueraufgabe, die immer mitläuft und dafür muss Zeit eingeräumt werden. Daran scheitert es leider oft. Aber das ist eine große und wichtige Aufgabe von Führungskräften.

Wie kann Mobbing im Arbeitsumfeld aussehen? Bei welchen vielleicht zuerst kleineren Handlungen und anfänglichen Dynamiken sollten Führungskräfte bereits hellhörig werden?

Führungskräfte können dann besonders gut erkennen, dass vielleicht ein Konflikt im Entstehen ist oder dass es womöglich einen Mobbingfall gibt oder sich größere Konflikte anbahnen oder bereits bestehen, wenn sie in ganz engem Kontakt mit ihren Mitarbeiter:innen sind. Und das bedeutet, dass sie also zum Beispiel in 1on1s, in Personalgesprächen auch die Ebene mit an- und besprechen, die die Zusammenarbeit, das Zusammensein betrifft und sich nicht nur für die fachliche Leistung interessiert. Führungskräfte kriegen das auch dann mit, wenn sie ein authentisch offenes Ohr haben für die Anliegen von Mitarbeiter:innen. Also es gibt viele Angestellte und Mitarbeiter:innen, die zu mir kommen in einer Mediation, die gesagt haben: Ich habe das angesprochen, aber mir wurde nicht zugehört. Das ist nicht angekommen, das wurde weggewischt. Dafür hat sich niemand interessiert. Und das ist sehr wichtig, dass Führungskräfte ihren Mitarbeiter:innen wirklich zuhören und dem Glauben schenken, was sie da hören, wenn sie sagen: Es geht mir nicht gut. Dass sie schauen: Was steckt dahinter, was ist da eigentlich los? Natürlich zeigt sich das auch in Krankenständen, wenn jemand ganz oft fehlt. Da muss man auch mal hingucken: Woran könnte das liegen? Ist das wirklich was Physiologisches oder geht es einer Person nicht gut? Und könnte es daran liegen, dass es ihr bei uns nicht gut geht? Und natürlich gibt es die Antennen, die man immer haben muss, wenn man im Teammeeting ist und das Gefühl hat, hier ist die Stimmung komisch oder hier werden Blicke hin und her geworfen. Und hier geht irgendwie zwischen den Zeilen eine Kommunikation ab, die ungut ist. Dann muss man auch da aufpassen und das ansprechen.

Wie sehen optimale Reaktionen und Vorgehen von Führungskräften aus, wenn sie von Mobbing im eigenen Team bzw. Unternehmen erfahren?

Also alles, was zwischen den Zeilen ist, aus den Zeilen herausholen. Das ist auch die Aufgabe der Führungskraft. Und wenn sie das wirklich gewissenhaft tut, dann kann sie eigentlich auch nicht überrascht werden von einem Konflikt, der auf einmal hoch eskaliert ist. Wenn eine Führungskraft mitbekommt, dass ein Konflikt entstanden ist oder wenn sie darauf aufmerksam gemacht wird, von einer betroffenen oder indirekt beteiligten Person, dann müssen Führungskräfte als allererstes das mal ernst nehmen und dem nachgehen. Und zwar – und das ist ganz wichtig – zeitnah. So schnell wie möglich. Denn manchmal ist es wirklich zeitkritisch, dass Personen ganz, ganz schnell Unterstützung brauchen. Sie müssen das ernst nehmen, sie müssen das Gespräch suchen mit den Konflikt-Beteiligten. Sie müssen womöglich erst mal alleine sprechen, je nach Situation, aber dann gegebenenfalls auch direkt an einen Tisch holen und mit denen gemeinsam besprechen: Was ist hier eigentlich los und wie kann ich euch unterstützen? Und es ist total in Ordnung, dass Führungskräfte auch selber sagen: Ich bin hier überfordert, ich kann das alleine nicht mehr klären. Es gibt viele Führungskräfte, die auf mich zukommen und sagen: Ich brauche Sie als Unterstützung. Ich kann hier nicht mehr weitermachen. Ich bin an meine Grenzen gestoßen. Und dass Führungskräfte sich dann also eben trauen, auch externe Personen reinzuholen, auch das ist ein bisschen Tabu-behaftet, weil Führungskräfte dann die Sorge haben, dass ihnen vorgeworfen wird: Du hast dein Team nicht im Griff, bei dir passieren Konflikte. Ihr arbeitet irgendwie komisch, nicht gut. Ihr seid nicht in der Lage. Diese Angst – da kann ich nur Mut zusprechen – müssen Führungskräfte unbedingt überwinden. Dann ist es viel wichtiger, dass der Konflikt geklärt wird, der total normal ist und der auch bei allen anderen vorkommt. Nur die sagen es vielleicht nicht. Und sich eine Mediatorin oder einen Mediator ins Haus holen und diesen Konflikt mediieren lassen, das ist unendlich wichtig. Also in irgendeiner Form muss eine Klärung herbeigeführt werden. Führungskräfte können dann merken, dass sie überfordert sind mit der Situation, wenn sie sehen, ihr Einwirken bringt nichts. Die Konfliktparteien sind weiterhin im Konflikt. Es geht allen immer noch schlecht oder mindestens einer Partei immer noch schlecht und sind nicht zufrieden mit dem Ergebnis eines Gesprächs. Oder sind weiterhin genervt von der Situation oder melden sich weiterhin krank.
Also wenn klar ist, der Konflikt ist nicht gelöst, dann heißt es, ganz offensichtlich war die Führungskraft nicht in der Lage, da entsprechende Unterstützung zu leisten. Meistens merken die Führungskräfte das aber auch selber. Die sind im Gespräch mit den beiden Mitarbeiter:innen und dann gibt es einen Schlagabtausch und sie sind nicht in der Lage, dieses Gespräch in eine konstruktive Richtung zu führen. Also eine Moderation bzw. Mediation, das will gelernt sein und da kommen Führungskräfte oft an ihre Grenzen. Führungskräfte können auch merken, dass sie sich sozusagen parteiisch fühlen, dass sie merken: Ich habe das Gefühl, Person A hat Recht und Person B ist hier schuld. Das ist aber ganz häufig nicht so und es ist schwierig, manchmal als direkt Beteiligter – also so eine Führungskraft ist ja beteiligt, die ist im Team, in den Themen drin, in den Aufgaben drin – da eine Distanz zu wahren, die es braucht, wenn man auf einen Konflikt von außen drauf gucken will, um ihn gut klären zu können.
Wenn ein Mobbing-Vorwurf im Raum steht, dann ist natürlich die Frage: Was macht man jetzt mit diesem Vorwurf? Und in aller Regel muss natürlich ausgeschlossen werden, dass hier wirkliches Mobbing stattfindet, also dass wirklich eine Person da jetzt sich auf die Agenda geschrieben hat: Ich möchte diese andere Person aus dem Unternehmen treiben oder fertigmachen, aus welchen Gründen auch immer. Das lässt sich aber so leicht gar nicht klären und von der Führungskraft oft gar nicht so leicht herausfinden. Wenn ihr das schwerfällt, das rauszufinden, dann muss das in einer Mediation geklärt werden. In der Mediation wird sehr schnell deutlich, ob die Partei, der Mobbing vorgeworfen wird, ob die selber sagt: Moment mal, mir geht es hier genauso dreckig und ich habe das nicht extra gemacht, damit es der anderen Person schlecht geht, sondern einfach nur um mich zu schützen, und also so eine Dynamik entsteht. Ein Gespräch, in dem deutlich wird: Hier leiden zwei. Und zwei haben wirklich sehr gute Gründe, so agiert zu haben, wie sie agieren. Oder: Die eine Person verweigert sich tatsächlich dem Gespräch und es ist nicht weiterzukommen. Und offensichtlich gibt es da eine Agenda, die andere Person fertigzumachen. Wenn das das Ergebnis ist, das kann, wie gesagt, oft nur von außen festgestellt werden, dann wird das natürlich der Führungskraft zurückgespielt. Und dann muss die Führungskraft entsprechende Maßnahmen ergreifen. Und das sind dann disziplinarische Maßnahmen. Also wenn jemand sagt: Ich mache hier nix. Und aber doch Dinge tut ganz offensichtlich, dann muss die Person verwarnt werden, es muss mit ihr gesprochen werden, dass sie das entsprechend schädliche Verhalten einzustellen hat. Und wenn sie das nicht tut, dann müssen entsprechend weitere Maßnahmen getroffen werden, die bis zur Kündigung gehen kann. Weil eine Person darf einer anderen Person nicht schaden. Nicht im Arbeitskontext und auch sonst nicht.

Hattest du nicht vorhin einige Aspekte wie 1on1s und eine offene Fehlerkultur erwähnt? Siehst du diese als Maßnahmen, um Mobbing und Konflikte am Arbeitsplatz vorzubeugen, oder gibt es noch andere Strategien, die du empfehlen würdest?

Also zu den Maßnahmen, mit denen man Mobbing vorbeugen kann, gehören natürlich Gespräche, 1on1s, Personalgespräche, regelmäßiger Austausch zwischen Führungskraft und Mitarbeiter:in, Gespräche im Team. Also Gespräche, in denen man sich darüber austauscht: Wie wollen wir zusammen arbeiten? Das ist die Kernfrage, wenn es darum geht, Konflikten vorzubeugen. Denn in Konflikten geht es in aller Regel nicht darum, dass ich sage: Fachinhaltlich ist das so. Und die andere Person sagt: Ne, inhaltlich ist das aber so. Sondern es geht darum: Wie reden wir miteinander, grüßen wir uns oder grüßen wir uns nicht? Rufen wir uns an oder schreiben wir uns E-Mails oder kommen wir ins Büro des anderen? Wie wollen wir das gerne? Darf ich ab und zu mal reinschneien, ohne vorher mit dir einen Termin gemacht zu haben und dich anquatschen von der Seite und sagen: Hey, ich brauche mal deine Unterstützung? Oder findest du das nervig und macht dich das völlig kirre und bist absolut gestört in deiner Arbeit? Solche Regeln muss sich ein Team setzen. Das sind banale Dinge, aber darüber muss mal gesprochen werden. Und dann geht es natürlich auch um weitere Dinge, wie komplexere Arbeitsaufteilung. Wer hat welche Rollen, wer ist für welche Aufgaben verantwortlich? Was machen wir, wenn ich das Gefühl habe: Das ist noch nicht geklärt? Was ist, wenn ich mich unwohl fühle mit dem Prozess, den wir definiert haben? Wenn ich das Gefühl habe, es läuft etwas schief? Darf ich das ansprechen? Welche Räume gibt es dafür, dass ich das anspreche? Sind das Meetings, Jour Fixes? Sind es 1on1s? Sind das große regelmäßige Teammeetings? Also all diese Dinge müssen besprochen werden, es muss Klarheit bestehen.
Und wenn da Unklarheit ist, dann mache ich das irgendwie mit mir selber aus, gebe mir selber Antworten darauf und die andere Person gibt sich auch selber Antworten darauf. Und dann clashed das. Und für all das ist eine Führungskraft natürlich verantwortlich. Die muss dafür sorgen, dass letztlich diese Strukturen bestehen und diese Klarheit hergestellt wird.

Was möchtest du Führungskräften zum Schluss noch mit auf den Weg geben?

Führungskräften möchte ich gerne mit auf den Weg geben, dass Konflikte in Teams total normal sind und dass, wenn sie auftreten, sie nicht die Hände über dem Kopf zusammenschlagen und denken müssen: Oh Gott, welche Mitarbeiter:innen habe ich denn hier? Sondern sich trauen, sich diesen Konflikten zu stellen und zu sagen: Das gehört einfach dazu. Und sich ist auch wirklich zur Aufgabe zu machen, in diese Konflikte mit reinzugehen und nicht zu sagen: Das ist nicht mein Konflikt. Sondern: Das ist ein Konflikt im Team und ich bin Führungskraft in diesem Team. Ich bin auch mitverantwortlich dafür, dass dieser Konflikt geklärt wird. Ich möchte auch hier Mut zusprechen. Es kann nicht unbedingt immer einfach sein und auch Mut dazu zuzusprechen, dass sich getraut wird, nach außen zu zeigen: Bei uns gibt es Konflikte. So what? Und einzufordern, dass Budgets zur Verfügung gestellt werden für Coaches oder Mediationen. Dass solche Konflikte wirklich von professioneller Hand gelöst werden können. Weil man kommt in Teufelsküche, wenn man diese Konflikte einfach wegschiebt und ignoriert.

In diesem Interview hast du tiefgehende Einblicke in die Rolle und Verantwortung von Unternehmen und Führungskräften im Umgang mit Mobbing erhalten. Du hast gelernt, welche präventiven Maßnahmen und Interventionstechniken es gibt und wie wichtig es ist, diesen destruktiven Dynamiken proaktiv entgegenzutreten. Solltest du weitere Fragen oder Bedenken zu diesem Thema haben, stehen die hier genannten Ansprechpersonen jederzeit – auch anonym – für dich bereit. Dein proaktives Handeln, kombiniert mit offener Kommunikation und Empathie, kann entscheidend dazu beitragen, ein positives und gesundes Arbeitsumfeld zu schaffen und somit Mobbing erfolgreich zu verhindern.
Dieser Artikel wurde von Evermood erstellt und zuletzt am aktualisiert.