Stalking erkennen & Schutzmaßnahmen ableiten

Interview
Woran lässt sich Stalking im Alltag erkennen? Ist eine persönliche Aussprache sinnvoll, oder sollte ich rechtliche Schritte einleiten? Und wieso ist die Unterstützung von außen für Betroffene so wertvoll? In dem folgenden Interview beantwortet Sandra Cegla, Kriminalkommissarin a. D. und Gründerin von SOS-Stalking, diese und viele weitere Fragen zu Handlungen und Schutzmaßnahmen rund um Stalking.
In diesem Gespräch werden Täter:innen oft in männlicher und Betroffene in weiblicher Form angesprochen. Trotzdem gilt: Jedes Geschlecht kann sowohl Täter:in als auch Opfer sein – alle Kombinationen sind möglich.

Wie kann ich erkennen, dass ich gestalkt werde?

Zum einen kann ich daran erkennen, dass ich gestalkt werde, egal ob es jetzt offenes oder verdecktes Stalking ist, dass irgendwie was in meinem Leben anders läuft. Also, oft ist es so, dass die Betroffenen davon berichten, dass sie länger schon so eine Art Bedrohung empfunden haben und irgendwie das Gefühl hatten, in meinem Leben ist irgendwas anders geworden, aber das am Anfang noch nicht gut greifen konnten. Weil manchmal ist das Stalking ja auch versteckt und dann kriegt man es nicht sofort mit. Aber es ist schon eindeutig. Zum einen bekommt man mit, dass Dinge anders laufen, als sie vorher gelaufen sind und dass die Welt so ein bisschen feindlicher wird. Wenn es dann ganz konkret eine Person gibt, die permanent an mir dran bleibt, wo es vielleicht vorher eine Freundschaft, eine Liebesbeziehung oder irgendeine Art von anderer Bindung gegeben hat und ich irgendwie das Gefühl habe „Na, wir sind hier irgendwie eigentlich so in einem Konflikt, irgendwie missverstehen wir uns die ganze Zeit, ich muss es nochmal erklären und mich nochmal rechtfertigen” und so weiter – aber eigentlich, wenn ich mir diese eine Bindung und diesen einen Konflikt mal genauer anschaue, ist es eigentlich eine Grenzüberschreitung. Ich habe eigentlich meine Position total klar gemacht und diese andere Person respektiert das einfach nicht. Also, da ist so der schwimmende Übergang. Gerade auch in Trennungssituationen, wo Liebeskummer eine Rolle spielt, ist es wirklich auch ein fließender Übergang zu sagen „Also hier ist es noch klar, wir müssen natürlich aus der Bindung irgendwie gut raus und ich will nochmal Sachen erklären und am liebsten möchte ich, dass wir gut auseinander gehen und dass alles klar ist”, aber irgendwann vor sich selbst anzuerkennen: „Ich habe alles gegeben, aber die andere Person respektiert es nicht, sie akzeptiert es nicht und sie versteht es auch nicht.” Und dann irgendwann zu verstehen: „Nee, das ist eigentlich Stalking, das ist eigentlich strafbar.” Das heißt, diese andere Person bleibt permanent an mir dran, überschreitet meine Grenzen, fügt mir dadurch Schaden zu und fängt sogar an, in meinem Umfeld und allgemein in meinem Leben zu manipulieren, und zwar so, dass es mir Schaden zufügt. Also, spätestens dann sind wir auf jeden Fall im Bereich Stalking.

Du hast gerade dieses feindliche Umfeld beschrieben und dass sich Dinge ändern. Kannst du da aus der Erfahrung ein paar Beispiele geben, um das alltagspraktisch greifbarer zu machen?

Ja, also beim offenen Stalking, gerade nach Trennungen, ist es auf der zwischenmenschlichen Ebene schwierig zu erkennen, im Sinne von: Wann ist es nicht mehr einfach nur ein Konflikt, sondern wo wird es wirklich strafbar? Wenn ich jetzt aber beispielsweise einen versteckten Täter habe, einer, der sich nicht zu erkennen gibt oder auch der offene Täter, der es heimlich hintenrum macht, da können dann so Sachen passieren wie: Ich bekomme Warenbestellungen, die ich selber nie bestellt habe. Es gibt plötzlich irgendwelche Anzeigen in irgendwelchen Zeitungen, dass bei mir beispielsweise mein ganzer Hausstand verschenkt wird und da stehen plötzlich ganz viele Leute vor meiner Tür und ich weiß gar nicht, wo die herkommen. Oder im Internet gibt es plötzlich Fake-Profile, von denen ich einfach nicht weiß, wer dahinter steckt und irgendwer verunglimpft mich einfach so. Und meine Freunde schreiben mich an und sagen: „Mensch, da sind ja komische Sachen über dich im Internet. Ich habe da was gefunden, was ist denn da los?” Oder mein Arbeitgeber bekommt plötzlich eine anonyme E-Mail oder ich werde beim Finanzamt, beim Jugendamt oder beim Veterinäramt angezeigt und plötzlich kommen diese Institutionen auf mich zu und sagen: „Jemand hat Sie angezeigt, Sie nehmen wohl Drogen in Gegenwart Ihres Kindes oder Sie misshandeln Ihren Hund oder Sie hinterziehen wohl Steuern. Können wir uns das mal genauer anschauen?” Das sind dann alles so Situationen, wo die Betroffenen erstmal mit dieser Situation konfrontiert sind und sich dann natürlich erst mal mit dem Finanzamt auseinandersetzen und sich hinterher die Frage stellen: „Ja Moment mal, aber wer war denn das? Wer hat mich denn da angezeigt?” Und zufälligerweise passieren mehrere Sachen. Warenbestellungen, Leute stehen vor der Tür, das Finanzamt kommt vorbei. Was ist da eigentlich los? Also solche Dinge können passieren und das kann im ersten Moment so aussehen, als wenn das alles Zufälle sind. Wenn man es sich aber genau anguckt, kann man vielleicht dann schon herausfinden, das war alles von einer Person. Eine Person hat überall ihre Finger mit im Spiel.

Ist das auch so intendiert, betroffenen Personen wirklich Schaden zuzufügen?

Ja und nein. Zum einen gibt es Täter, die ganz offen rachsüchtig sind, die auch wirklich die Betroffenen einfach quälen wollen und sich rächen wollen und es recht ist, dass ihr Schaden zugefügt wird und das wollen und sagen sie auch. Es gibt aber auch die Täter, die das für sich selbst irgendwie ganz komisch rechtfertigen, also die das alles ein bisschen anders sehen, anders wahrnehmen und denen gar nicht so klar ist, was sie da eigentlich mit der Betroffenen tun. Also, beides kommt vor.

Wie sollte ich denn auf solche Handlungen reagieren?

Ja, das ist eine ganz, ganz gute und wichtige Frage, damit beschäftigen wir uns jeden Tag. Ich kann mittlerweile sagen, dass es auf genau diese Frage eben keine allgemeingültige Antwort gibt und auch keine allgemeingültige Patentlösung sozusagen, was auf der einen Seite sehr schade ist, aber auf der anderen Seite wissen wir: Die Stalking-Fälle sind so individuell wie wir Menschen. Das heißt, jeder Täter, selbst wenn wir Gemeinsamkeiten erkennen können, ist immer unterschiedlich und auch die Dynamik innerhalb des Falles zwischen der Betroffenen und dem Täter ist immer sehr individuell. Das heißt, das A und O ist erstmal, es wirklich anzuerkennen und auch diesen Bewusstseinsprozess zuzulassen: „Hier läuft irgendwas schief.” Und dann ist es sehr empfehlenswert, das natürlich zum einen zu dokumentieren, also ein Stalking-Tagebuch zu führen und sich selbst einfach mal vor Augen zu führen: Was passiert da eigentlich? Wie häufig ist das? Wie schlimm sind die Sachen, die mir da passieren? Welche Person könnte ich dahinter vermuten oder ist es für mich klar, welche Person das ist und die tritt auch mit sehr klaren Botschaften an mich heran? Wie kann ich das alles auch beweisen? Das heißt, welche Screenshots habe ich gemacht, welche Chats habe ich abgespeichert, wo habe ich das alles abgespeichert und welche Zeugen habe ich dafür? Und da kann ich mir dann eben auch bewusst machen, wo ich gerade eigentlich stehe. Und das, finde ich, ist erstmal das A und O, sich bewusst zu machen, wo stehe ich und sich dann auch ein Feedback von außen zu holen, also wirklich mindestens eine Vertrauensperson einzubinden, entweder aus dem direkten Umfeld oder auch von Beratungsstellen. Um dann nochmal das Feedback zu bekommen: Ist das hier jetzt was, was ich mir vielleicht nicht einbilde, aber wo ich vielleicht ein bisschen überreagiere oder sehr sensibel bin, oder kommen da wirklich echte Angriffe von außen, wo ich sehr vorsichtig sein muss und wo ich auch eingreifen muss?

Erkennen Menschen, die das Ziel dieser Attacken sind, dass es sich dabei um Stalking handelt, oder kann ich das auch als außenstehende Person mitbekommen?

Also, unsere Erfahrung ist tatsächlich, dass die meisten Betroffenen das manchmal wirklich über Jahre hinweg nicht richtig bemerken oder wirklich ein längerer Bewusstseinsprozess von mindestens Monaten dahinter steht, bis sie sagen: „Moment mal, das ist doch Stalking.” Und oft ist es auch so, dass sie von außen Impulse bekommen, dass die beste Freundin sagt: „Du, irgendwie mache ich mir Sorgen” oder, dass sie selber irgendwo eine Reportage sehen und dann wird das Thema Stalking ganz klar benannt. Sie sehen Beispiele und sehen: „Dasselbe passiert mir doch auch. Ach so, dann ist es Stalking.” Also, meine Erfahrung ist wirklich, dass gerade der Bewusstseinsprozess, bis ich es überhaupt Stalking nenne, der entscheidende Punkt ist und der kann sehr, sehr lange dauern.

Also ist es wichtig und richtig, wenn mir als Außenstehende:r diese Dinge bei Verwandten, Freund:innen, oder im kollegialen Umfeld auffallen, das zu adressieren und darauf hinzuweisen?

Ja. Und das Wort auch auszusprechen. Das ist wirklich ein Bewusstseinsprozess. Und ich empfehle auch immer, die Impulse von außen ernst zu nehmen. Die meisten Betroffenen schämen sich und bekommen auch mit, dass sie sich emotional verändern, weil sie bekommen ja Angst, sie fühlen sich irgendwie bedroht, sie merken, irgendwas ist anders, irgendwas stimmt nicht, aber können es nicht greifen. Und das macht ganz viel mit der Seele. Und die meisten Betroffenen schämen sich sehr dafür und denken: „Irgendwas stimmt mit mir nicht.” Und das macht es dann sehr schwer auch anzuerkennen: „Moment mal, der Angriff kommt von außen. Das ist nicht Ich bin komisch, Ich bin zu schwach, Ich bin nicht stark genug, um bestimmte Situationen zu bestehen, sondern ich werde da wirklich massiv angegriffen und zwar von außen.”

Gibt es bestimmte Anlaufstellen, an die ich mich wenden kann oder andere Hilfsmöglichkeiten, die ich nutzen kann?

Ja. Es gibt gute Möglichkeiten, beispielsweise in unterschiedlichen Beratungsstellen. Die sind allerdings, das habe ich festgestellt, über die Jahre hinweg wechselnd im Angebot. Also, es gibt immer wieder mal Selbsthilfegruppen in bestimmten Regionen, die dann aber auch wieder zumachen und dann gibt es immer wieder neue Beratungsstellen, die sich auch intensiv mit dem Thema Stalking befassen und dann irgendwann aber auch nicht mehr. Also, über die letzten 20 Jahre, die ich intensiv mit dem Thema Stalking arbeite, habe ich festgestellt, dass es immer wieder gute, spezialisierte Angebote gibt und die sollte man einfach mal im Internet für sich recherchieren. Das ist meine Empfehlung.

Ist das auch eine Art Schutzmaßnahme, die Betroffene treffen können, also indem sie sich Rat von solchen Anlaufstellen holen?

Absolut. Ich empfehle das immer, weil selbst wenn ich den Verdacht habe, kann es sich ja herausstellen, als „Da ist nichts.” Im Idealfall ist es dann auch wirklich nichts. Es ist zwar meine Erfahrung, dass wenn der erste Verdacht aufkommt, dass es sich meistens auch bestätigt, aber viele Betroffene sagen auch, sie haben sich lange nicht getraut, weil sie wollen ja niemanden zu Unrecht beschuldigen und vielleicht stimmt es ja nicht und so weiter. Und ich würde dann sagen: „Ist doch egal, ob es stimmt oder nicht.” Der erste Verdacht reicht, das erste Gefühl von „Mir geht es irgendwie mit einer Situation nicht gut” ist ausreichend, um sich Hilfe zu holen, finde ich. Und wenn am Ende dieses Prozesses steht: „Gott sei Dank ist es kein Stalking”, dann kann ich mich ja zurücklehnen und kann wirklich beruhigt sein. Aber die Beratung ist immer sinnvoll und deswegen würde ich auch sagen, immer Hilfe holen. Sobald ich merke, irgendwas ist komisch und allein „Ich fühle mich nicht mehr stark und irgendwas bewegt sich in meinem Leben in eine falsche Richtung” ist vollkommen ausreichend, um sich Hilfe zu holen.

Kann dieses ungute Gefühl auch schon sein, dass man sich beobachtet fühlt?

Ja. Es kann das Gefühl sein von: „Ich fühle mich irgendwie beobachtet, irgendwie gerät mein Leben aus den Fugen, ich verstehe nicht so richtig warum, ich fühle mich bedroht.” Und in den meisten Fällen ist es schon so, dass die Betroffenen genau wissen, um wen es geht und dass sie sagen: „Irgendwie komme ich mit dieser einen Person nicht klar und mittlerweile macht es mir doch sehr zu schaffen.”

Wenn ich weiß, um welche Person es geht, also höchstwahrscheinlich auch schon persönlichen Kontakt hatte, sollte ich das dann ansprechen, bzw. wie sollte ich mit der Person umgehen?

Das ist auch eine sehr, sehr gute Frage und auch da sind die Fälle ja sehr unterschiedlich und sehr individuell. Der Klassiker ist allerdings, dass es eben aus einer Intimpartnerschaft hervorgeht. Man hat also wenigstens einmal ein Date gehabt, einen Flirt, vielleicht eine längerfristige Beziehung oder vielleicht sogar eine Ehe und geht dann in die Trennung. Und bei Stalking müssen wir auch wissen, am Anfang von Stalking steht immer eine große Kränkung für den Täter. Und diese Kränkung kann entweder eine echte, reale Zurückweisung sein oder eine fantasierte. Am Ende ist es egal. Meistens ist es aber so, dass da wirklich am Anfang eine Trennung steht aus einer Intimpartnerschaft. Und das ist dann schon so, dass wir in der Situation sehr häufig merken, dass die Betroffenen sehr genau wissen, welche Person das ist. Und hier ist es dann schon auch so, dass die Betroffenen oft dann einfach den Kontakt abbrechen und sagen: „Ich möchte das jetzt nicht mehr.” Und hier ist es ganz, ganz wichtig, wenn ich einmal den Kontakt abgebrochen habe, dann muss ich den unbedingt durchhalten. Wenn ich dann nämlich nach sechs Monaten, nachdem er mich so bombardiert hat, dass ich das selber nicht mehr aushalte und ich dann sage: „So, jetzt lass mich aber in Ruhe, ich will das alles nicht mehr und hör jetzt auf.” Das heißt, er hat doch nochmal was von mir gehört. Dann kann ich mir sicher sein, dass es danach noch viel schlimmer weitergeht, weil er dann nämlich gelernt hat: „Sechs Monate hat sie sich nicht gemeldet. Und dann habe ich das gemacht. Ich bin also so und so massiv geworden, habe quasi den ganzen Fall eskalieren lassen und dann hat sie sich gemeldet.” Was wird er machen? Er wird alles noch mehr eskalieren lassen und immer näher an sie heranrücken und sich immer schlimmere Attacken ausdenken. Das heißt also, wenn ich den Kontakt abbrechen kann, sollte ich ihn abbrechen, aber so wohl überlegt, dass mir klar ist, wenn ich ihn einmal abbreche, muss ich ihn auch durchhalten können. Also, wenn beispielsweise noch viel zu klären ist rund um Kinder und so weiter, da muss man dann wirklich noch mal individuell schauen, was da sinnvoll ist. Und man sollte sich der Person gegenüber klar verhalten, klar im Sinne von: Die Aussagen müssen kurz und klar sein. Man sollte ganz wenig von sich preisgeben, also auf keinen Fall in eine Rechtfertigung hineinfallen. Das berichten ganz viele Betroffene, weil Stalker meistens zwischenmenschliche Interaktionen missverstehen bzw. falsch deuten. Das heißt, die Betroffenen haben fast alle das Gefühl von „Er versteht mich einfach nicht. Er steht vor meiner Tür und er hat zum 20. Mal geklingelt und ich brülle ihn an, er soll das jetzt endlich lassen. Und er geht weg mit dem Gedanken Ah, sie liebt mich, sonst wäre sie nicht so emotional, aber ich habe was ganz anderes gesagt und was ganz anderes zum Ausdruck bringen wollen.” Und das ist schon so, dass die Betroffenen sagen: „Er will ständig nochmal eine Aussprache und es ist ständig noch was zu klären, dabei habe ich es doch schon so klar und deutlich gesagt.” Aber die Betroffenen haben das Gefühl, sie müssen sich rechtfertigen und nochmal erklären und nochmal erklären und holen aus. Und das ist genau das, was ich nicht empfehle. Es ist natürlich und menschlich und es passiert fast allen, dass sie den Impuls haben, ich will mich erklären. Aber das ist genau das Gegenteil von dem, was man tun sollte. Der Stalker wird es nie verstehen. Nie. Er will es auch gar nicht, sondern er sucht Ausreden und Anknüpfungspunkte, um einfach im Gespräch zu bleiben. Sein Ziel ist, die Bindung zu erzwingen, die sie nicht mehr möchte. Und wenn man das einmal verstanden hat, weiß man: „Okay, er wird massiv auftreten und er wird erstmal versuchen, auch alles eskalieren zu lassen. Aber ich muss aus der Bindung raus. Er darf von mir nichts mehr wissen. Ich muss mein Umfeld absichern, dass er keine Informationen mehr von mir bekommt. Es ist total wichtig, ihn jetzt wirklich rauszubringen aus meinem Leben. Und auch die Kontakte beispielsweise, die nicht hinter mir stehen, die sich mit ihm verbünden und die sich von ihm manipulieren lassen, die muss ich auch erstmal aus meinem Umfeld entfernen.” Und das sind teilweise sehr, sehr schwere Schritte für die Betroffenen, die sie manchmal nicht alleine schaffen und wo sie in ihrer Stresssituation auch gar nicht den Kopf dafür haben. Und deswegen sage ich auch in Fällen von Stalking, ist diese Beratung von außen oder einfach auch dieses Feedback von außen, dass jemand, der nicht betroffen ist, auf die Situation mal drauf schaut, sehr, sehr wichtig.

In so einer schwierigen Situation kann eine externe Unterstützung für die Betroffenen ja auch eine emotionale Stütze sein.

Das ist ein ganz wesentlicher Punkt, den du da ansprichst, weil dadurch, dass Stalking ja so psychologisch und so komplex ist, ist es oft von außen betrachtet sehr schwer erkennbar, weil wir eben nicht zu viele Fakten haben, nicht zu viel Objektives, was so richtig eindeutig den Namen Stalking trägt. Auf der emotionalen Ebene hat es immer eine massive Auswirkung auf die Betroffenen. Also, es gibt ja eine Studie von zwei Trauma-Forschern, die herausgefunden haben, dass Stalking den gleichen Stress auslöst, wie das Überleben eines Flugzeugabsturzes. Und das finde ich, spricht für sich, dem ist eigentlich nichts hinzuzufügen. Und selbst ein bewaffneter Raubüberfall, dem ich beiwohne und weiß, dass da ein bewaffneter Täter neben mir steht, löst weniger Stress aus als Stalking. Und dann müssen wir wissen, dass Stalking meistens über Wochen, Monate oder sogar über Jahre hinweg geht. Das heißt, wenn man diesem Stress permanent ausgesetzt ist, ist ganz klar, dass es krank macht. Emotional, also es tut der Seele überhaupt nicht gut, es macht körperlich krank, es macht geistig krank. Auch wenn Stalking von außen sehr häufig total banal und harmlos daherkommt, die Betroffenen empfinden das. Und ich finde es ganz wichtig, vor sich selber anzuerkennen: „Mir geht es nicht gut, ich habe Hilfe verdient, ich muss das nicht alleine ertragen.” Und es ist auch ganz wichtig, die richtige Hilfe zu finden, die das auch wirklich anerkennt und sich einigermaßen damit auskennt, weil auch unsere Erfahrung ist, dass die Betroffenen oft Gespräche mit Einrichtungen und Institutionen führen, die das Thema nicht ganz so ernst nehmen. Und das ist ganz, ganz schlimm und verheerend. Stalking ist schlimm, es bleibt schlimm und die Auswirkungen dürfen auf keinen Fall unterschätzt werden. Und deswegen ist es mir auch so wichtig, an die Betroffenen immer wieder zu appellieren und sie einzuladen, sich einfach immer Hilfe zu holen und es immer ernst zu nehmen. Je schlechter es ihnen geht, desto mehr Hilfe haben sie verdient.

Inwiefern kann diese Hilfe auch durch die Polizei erfolgen? Können sich Betroffene nur an die Polizei wenden, wenn auch tatsächlich Straftaten in diesen Stalking-Prozess involviert sind?

Ja, zum einen ist das Stalking an sich ja eine Straftat. Das heißt also, wenn ich sage Ich gehe zur Polizei und ich zeige Stalking an, dann sind wir ja schon im Bereich der Straftaten. Aber hier haben wir eben die große Schwierigkeit, ob es nachweisbar ist und ob am Ende der Richter auch wirklich feststellen wird, dass es Stalking ist und eine Straftat. Auch wenn ich es angezeigt habe, kann ich sagen, in den meisten Fällen nein. Wir haben in Deutschland eine Verurteilungsrate für Stalking von unter 10 Prozent. Das heißt, ich gehe zwar wegen einer Straftat zur Polizei, aber meistens kommt dabei nichts raus bei Gericht. Und das, was wahrscheinlich auch nochmal gemeint ist, diese ganzen Begleitstraftaten, die Beleidigung, die Körperverletzung, die Bedrohung, der Hausfriedensbruch und dann natürlich auch alle möglichen Gewalttaten. Also, ich muss definitiv nicht warten, bis ich bedroht werde, beleidigt und bis der Täter vielleicht auch wirklich zu einem massiven körperlichen Übergriff ansetzt, sondern ich kann schon viel, viel früher zur Polizei gehen, nämlich genau dann, wenn ich allein Stalking vermute. Dann ist der Zeitpunkt, um zur Polizei zu gehen. Und die Frage natürlich „Was kann die Polizei dann tun?”, die ist eine ganz wesentliche, weil die Polizei nämlich zwei Aufgaben hat. Zum einen Strafverfolgung, also was genau kommt am Ende beim Richter an und was wird bei Gericht verhandelt? Und dafür die Ermittlungen zu führen und alle Beweise zu finden, be- und entlastend für den Täter. Und zum anderen die Gefahrenabwehr, das heißt einzuschätzen, wie gefährlich ist die Situation, wie muss jetzt für die Betroffene eingegriffen werden, damit ihr nichts passiert. Und da haben wir im Bereich Stalking wirklich ganz, ganz große Schwierigkeiten, weil Stalking selbst, solange nämlich diese ganzen schweren Gewalttaten noch nicht passiert sind, so niedrig im Strafgesetzbuch angesiedelt ist, dass die Polizei kaum strafprozessuale Maßnahmen hat, auch im Bereich der Gefahrenabwehr noch nicht so richtig eingreifen kann, weil alles nicht so richtig gefährlich scheint und so weiter. Also, wir haben da ganz, ganz große Schwierigkeiten. Und die Polizei hat erstmal die Aufgabe, die Strafanzeige aufzunehmen, Ermittlungen zu führen und das dann an die Amts- oder Staatsanwaltschaft weiterzugeben. Und sollte wirklich Gefahr für Leib und Leben bestehen für die Betroffene, dann natürlich einzugreifen. Und das bedeutet aber, der Täter steht vor der Tür und randaliert und hat vielleicht noch eine Waffe in der Hand. Dass er einfach nur da steht und guckt, ohne dass eine Art von Bedrohung von ihm ausgeht, im Sinne von Leib und Leben, dann kommt die Polizei natürlich nicht. Also, es ist keine akute Gefahr. Und das ist auch das, was die Betroffenen uns sehr häufig einfach zurückmelden, dass sie natürlich mit der Idee und mit dem berechtigten Wunsch zur Polizei gehen: „Die machen was, die greifen in meinem Fall so ein, dass ich mich nicht mehr bedroht fühlen muss.” Und leider kann die Polizei das nicht leisten. Die Polizei ist zum einen nicht da, um langfristig auch psychosozial zu begleiten. Das heißt, das ist einfach nicht Aufgabe der Polizei. Ermittlungen finden im Verborgenen statt. Daran werden die Betroffenen nicht beteiligt, sie werden auch keine Informationen darüber erhalten. Und auch die Täter werden nicht involviert. Also, niemand darf das Ermittlungsergebnis erfahren, niemand darf wissen, was die Polizei gerade macht. Das ist zum einen datenschutzrechtlich gar nicht möglich, zum anderen natürlich auch überhaupt nicht sinnvoll. Also, wenn polizeiliche Ermittlungen geführt werden, dürfen diese Informationen nicht nach außen dringen, damit der Täter nicht gewarnt wird. Und das deuten viele Betroffene auch so, wie: „Ah, die Polizei macht nichts, die arbeiten ja nicht.” Doch, die Polizei arbeitet, aber sie sagt es natürlich nicht, weil sie es gar nicht dürfen und weil es auch polizeitaktisch nicht sinnvoll ist. Und auf der anderen Seite wünschen sich die Betroffenen natürlich aber auch, dass die Polizei viel mehr Präsenz zeigt, öfter auch mal nach Hause fährt oder mal ein Streifenwagen vorbeifährt oder wenn sie sich bedroht fühlen, dass die Polizei auch wirklich kommt, und sind sehr enttäuscht, wenn die Polizei sagt: „Nee, in dem Fall kommen wir aber nicht.” Und das sind unter anderem die Gründe dafür, dass ich von der Polizei weggegangen bin und gesagt habe, rechtlich gesehen ist es eben wie es ist. Die Polizei kann und darf nicht so intensiv eingreifen, wie die Betroffenen das brauchen und sich auf einer menschlichen Ebene sich das auch von der Polizei wünschen. Das kann ich total nachvollziehen. Und ich kann natürlich auch die Sichtweise der Polizei nachvollziehen, weil ich ja jahrelang Kriminalbeamtin war. Und von daher ist das wirklich so ein ganz, ganz großes Themenfeld, wo es sehr viele Missverständnisse auf beiden Seiten gibt und wo aus meiner Sicht auch einfach noch ganz viele, sagen wir mal, gesellschaftliche Konzepte für das Thema Stalking fehlen.

Das klingt, glaube ich, vor allem für Betroffene sehr ernüchternd. Welche konkreten Handlungsempfehlungen würdest du denn für Betroffene daraus ableiten?

Also, ich würde daraus ableiten zum einen nach wie vor erst mal alles ernst nehmen, erst mal zu dokumentieren, um mir einen groben Überblick zu verschaffen, wo stehe ich gerade und wie schlimm ist die Situation eigentlich. In dem Moment, wo ich dokumentiert habe, habe ich zum einen für mich selber was, was ich einschätzen kann. Ich kann andere neutrale Personen darauf schauen lassen und es einschätzen lassen. Und ich habe gleichzeitig auch ein Beweismittel für Gericht, also richtig für das Gerichtsverfahren geschaffen. Also, das ist immer als erste Maßnahme total gut. Und dann ist es aber auch möglich, je nachdem wie bedroht ich mich fühle und was im Einzelfall eben schon vorgefallen ist, neben der Strafanzeige bei der Polizei, kann ich auch ein Kontaktverbot beim zuständigen Familiengericht oder Amtsgericht erwirken. Und das ist dann so umgangssprachlich die sogenannte Bannmeile, wo sich mir der Täter auf so und so viele Meter nicht mehr nähern darf, wo er dann auch mein privates Umfeld nicht mehr kontaktieren darf und auch auf anderen Wegen nicht mehr an mich herantreten darf. Und das bietet dann schon auch erstmal noch einen Schutz. Und was ich jetzt bei der letzten Antwort noch unterschlagen habe, ist, die Polizei hat ein Mittel, was tatsächlich in 70 Prozent aller Fälle auch wirklich Wirkung zeigt. Also, ganz tatenlos muss die Polizei nicht zusehen, sondern es gibt die Möglichkeit einer Gefährderansprache und die wird auch routinemäßig in jedem einzelnen Stalking-Fall, der glaubhaft wirkt, immer gemacht. Und Gefährderansprache bedeutet, da gehen uniformierte Polizisten zum Stalker und sagen: „So, das ist jetzt hier alles strafbar, was Sie machen, Sie dürfen an die Person XY nicht mehr herantreten und seien Sie sich einfach dessen bewusst, wenn Sie es jetzt weiter machen, ist das alles strafrechtlich relevant und es wird dafür Konsequenzen geben.” Einfach, dass der Täter auch weiß: „Oh, da ist jetzt eine Institution dran, die Polizei ist dran und ich bin jetzt hier nicht mehr intim und alleine mit der Betroffenen, es ist nicht unerkannt, sondern es hat jetzt quasi eine Art von Öffentlichkeit erreicht, die ich mir nie vorgestellt hätte als Täter.” Und viele schreckt das wirklich ab. Also, viele hören danach auf, fangen vielleicht irgendwann später nochmal an, wenn sie es nicht schaffen, sich aus der emotionalen Fixierung zu lösen. Aber zumindest kann das viele Täter wirklich auch erstmal wachrütteln im Sinne von: „Oh, die Polizei ist involviert, jetzt wird es ernst, ich muss jetzt Konsequenzen fürchten.” Und auf viele Stalking-Fälle, also 70 Prozent hat es erstmal einen sehr guten Einfluss.

Wenn ich so eine Verfügung einmal erwirkt habe und das durch den Täter oder die Täterin missachtet wird, können dann nochmal weitreichende polizeiliche Maßnahmen erfolgen?

Ja. Also zum einen müssen wir wissen, dass dieses Kontaktverbot nach dem Zivilrecht funktioniert. Das ist also ein komplett anderes Rechtsgebiet als das, nach dem die Polizei agiert. Die Polizei agiert nach öffentlichem Recht, also Strafrecht und StPO und so weiter. Und wenn wir wissen das sind zwei unterschiedliche Paar Schuhe, dann ist es so, dass wenn ich das Kontaktverbot habe, dann habe ich zivilrechtliche Möglichkeiten. Und ich muss dann also immer dem zuständigen Gericht melden: Er hat verstoßen, er hat verstoßen, er hat verstoßen. Und das Zivilgericht kann dann Ordnungsgeld und auch Ordnungsstrafen erlassen. Die können bis zu 50.000 Euro gehen. Und es kann auch eine Ordnungshaft vom Zivilgericht erlassen werden, das wird dann vollstreckt von der Polizei, und dann kann der Täter tatsächlich einen Haftbefehl bekommen und allein deshalb in Haft gehen. Und das nur allein aufgrund des Kontaktverbots. Und hier muss ich aber wissen, es ist Zivilrecht und hier ist mein Ansprechpartner immer das zuständige Gericht, also mein Amtsgericht oder mein Familiengericht. Und ich kommuniziere erst mal mit genau diesem Gericht, damit hier dann auch Maßnahmen, also Strafen passieren können. Und was zeitgleich in den meisten Fällen aber auch noch läuft – und das verstehen viele nicht – ist, wenn ich eine Strafanzeige erstattet habe bei der Polizei, ist die Polizei zuständig für die Strafanzeige und für Ermittlungen fürs Strafgericht. Und das sind zwei komplett unterschiedliche Paar Schuhe. Also, auch für das Kontaktverbot, wo ich mit dem Zivilgericht kommuniziere, kann ich dann auch bei jedem einzelnen Verstoß, den ich dem Zivilgericht quasi mitteile, gleichzeitig eine Strafanzeige erstatten. Verstoß gegen das Gewaltschutzgesetz. Und hier bin ich dann im Zuständigkeitenbereich der Polizei und muss dafür dann auch mit der Polizei kommunizieren. Also, ein einziger Verstoß gegen das Kontaktverbot bedeutet zwei Meldungen. Einmal ans Zivilgericht, einmal an die Polizei. Und dort werden dann Ermittlungen geführt wegen Verstoßes gegen das Gewaltschutzgesetz und das zivile Gericht prüft in eigener Zuständigkeit alles. Im besten Fall kann ich also zwei Haftbefehle erwirken. Über das Zivilgericht und über die Polizei, die mit der Amtsanwaltschaft oder mit der Staatsanwaltschaft kommuniziert. Und das ist sehr komplex, finde ich. Da muss man Rechtssystematik verstehen und wir alle sind ja keine Juristen, Juristinnen. Und in Fällen von Stalking spielt ja einfach auch Stress eine sehr große Rolle. Das heißt, ich kann einfach nicht klar denken, egal wie intellektuell gut aufgestellt ich bin und egal wie intelligent ich bin. Aber ich kann in dem Fall nicht mehr denken, weil ich einfach nur Angst um mein Leben habe oder um meinen Ruf oder um mein Geld oder was auch immer. Also, ich habe einfach Angst und deswegen kann ich nicht klar denken. Es ist sehr, sehr schwierig dann diese ganzen Zusammenhänge zu verstehen. Das Wichtigste, was man sich erstmal merken sollte: In Fällen von Stalking und vor allem wenn ich ein Kontaktverbot habe, muss ich immer mit zwei Instanzen zeitgleich kommunizieren und ich darf mich nicht darauf verlassen, dass die sich untereinander austauschen. Wenn das Zivilgericht irgendwas weiß, heißt das nicht, dass die Polizei es auch weiß. Wenn die Polizei es weiß, heißt es nicht, dass die mit dem Gericht kommunizieren. Normalerweise nicht. Also, ich bin da immer noch in der Verantwortung. Was ich eine sehr große Verantwortung finde, auch für die Betroffenen, aber leider ist es aktuell so.

Trotz dass es so viel Arbeit ist, garantiert das im Endeffekt trotzdem den besten Schutz für mich als betroffene Person?

Ja.

Gibt es Wege, mit denen ich den rechtlichen Prozess umgehen kann, indem ich zum Beispiel ganz direkt mit der Person kommuniziere und diesen Konflikt in einem Eins-zu-eins- oder Eins-zu-zwei-Format beilegen kann?

Ja, das ist eine sehr gute Frage, worüber sich vor allem auch die Fachwelt austauscht, um nicht zu sagen, wild diskutiert. Also, es gibt beispielsweise auch Beratungsstellen und Lösungsansätze, die darauf setzen, dass Täter und Opfer zusammen in von Mediatoren oder Psychologen geführten Gesprächen gemeinsame Lösungen finden. Das ist höchst umstritten. Aus meiner Sicht ist das überhaupt nicht sinnvoll. Nach allem, was ich weiß über die Kriminalpsychologie und vor allem auch über die Risikoanalysen, ist es tatsächlich so, dass in dem Moment, wo ich Täter und Opfer in einen Raum setze und mit ihnen Gespräche führe, ist das total kontraproduktiv. Zum einen verstärkt es einfach diesen Suchtcharakter des Täters, er hat einfach Erfolge und er kann quasi dann diese Gespräche nutzen und instrumentalisieren, um sein Stalking auszuführen. Er wird Insiderwissen erhalten, was er gar nicht wissen darf, weil das einfach gefährlich ist für die Betroffene. Es macht in seiner Psyche die Fixierung einfach noch viel größer und es hat meistens auch wirklich massive und verheerende Auswirkungen auf die Gefahrensituation in dem einzelnen Stalking-Fall. Deswegen halte ich von diesem Ansatz überhaupt nichts. Es gibt Täter-Vertreter bzw. Psychologen, die aus der Täterarbeit kommen, die sagen, das ist ein super Mittel. Aus meiner Sicht auf gar keinen Fall. Alles, was ich bisher gesehen, erlebt und erfahren habe im Bereich Stalking, auf gar keinen Fall. Also, unseren Betroffenen raten wir immer davon ab, sich mit dem Täter nochmal in einen Raum zu setzen und unterm Strich ist es einfach auch eine absolute Zumutung für die Betroffene. Also, allein aus dem Grunde schon würde ich sagen „Warum muss sie sich konfrontieren, warum muss sie in einer Situation, wo er Grenzen überschreitet, permanent über sich selber reden und vor allem ungeschützt?” Davon raten wir absolut ab. Und wie gesagt, es macht den Fall schlimmer, es macht die Risikosituation schlimmer und der Täter kommt einfach an das, was er will und sein Belohnungssystem wird belohnt. Also, davon halte ich nichts. Und am Anfang des Stalkings, wenn ich das abgewogen habe und weiß, ich kann den Kontakt abbrechen, dann muss es ja diesen vermeintlichen Kontaktabbruch auch geben. Und da kann man dann tatsächlich überlegen: Mache ich das in Form einer Konfrontation, mache ich das entweder schriftlich, das heißt, ich habe das einfach per E-Mail oder per Chat geschickt und dann habe ich es auch für das Gericht beweissicher, oder mache ich das mit einem Zeugen und natürlich auch mit Nachdruck, dass ich wirklich nochmal klar mache: „Also hier, das ist unser letztes Gespräch, von jetzt an möchte ich keinen Kontakt mehr. Wenn du weiterhin zu mir Kontakt suchst, dann werde ich auch rechtliche Schritte gegen dich gehen. Mach dir das klar, das ist jetzt hier ernst und ich will nicht mehr.” Und das sollte unbedingt klar, deutlich und ohne Missverständnisse sein. Und hier sollte man sich auf keinen Fall reinverstricken lassen in „Der Täter wirkt weinerlich” oder „Ich habe plötzlich Mitleid mit ihm” oder „Er wird aggressiv und fängt an mich zu bombardieren.” Wie auch immer der Täter reagiert, er wird auf jeden Fall die Situation natürlich nicht anerkennen und er wird auch nicht sagen „Ja stimmt, ich habe was falsch gemacht, ich mache es nie wieder.” Das zeichnet ja den Täter als Täter aus, dass er es eben nicht versteht. Und er wird auch versuchen, so viele Informationen wie möglich aus der Betroffenen nochmal heraus zu bekommen und wird die Mittel und Wege auf psychologischer Ebene, also die psychologischen Tricks auch anwenden, mit der er sie bisher immer schon bekommen hat. Und das muss mir klar sein. Ich muss mich innerlich abgrenzen und ich gehe wirklich nur dahin, um mit ihm den Kontakt abzubrechen. Ich gehe nicht dahin, um ihn in eine Situation zu bekommen, wo er es einsieht. An seine Vernunft kann ich nicht appellieren. Ich kann ihm nur eine klare Grenze setzen und ihm aufzeigen, dass er negative Konsequenzen erfahren wird, wenn er nicht aufhört. Das ist eigentlich das Einzige, was das Ziel von so einem Gespräch sein sollte. Allein aus Gefahrengründen, sollte ich das niemals alleine tun. Ich brauche immer jemanden, der mich zur Not beschützen kann und der mir emotional und mental zur Seite steht. Das darf ich auf keinen Fall alleine machen. Aber vor allem ist es auch sehr wichtig, am Ende Zeugen fürs Gericht zu haben. Die Täter zeichnen sich dadurch aus, dass sie sehr manipulativ sind und dass sie oft die Welt nicht so wahrnehmen, wie wir sie wahrnehmen. Und der Täter kann oder wird eigentlich in 90 Prozent aller Fälle hinterher das Gespräch anders wiedergeben, als es tatsächlich gelaufen ist. Ich brauche unbedingt Zeugen, mindestens einen. Und ich sollte mir hinterher auch wirklich Notizen machen, dass ich noch genau nachvollziehen kann, falls es mal zu einer Gerichtsverhandlung kommt, was ist gesagt worden, was habe ich von mir gegeben, was hat der Täter von sich gegeben und wie sind wir gemeinsam aus dem Gespräch rausgegangen. Die Geschichte von Seiten des Täters wird eine komplett andere sein. Und wenn ich mir das alles klar mache und ich mich emotional stark genug fühle, dann empfehle ich das auch zu machen. Und bei manchen Betroffenen ist es auch so, dass sie sagen: „Ich bin so wütend. Ich bin einfach so wütend und ich will ihm das sagen.“ Und wenn es ihr ein Bedürfnis ist, ihm das einfach auch mal zu sagen, dann würde ich sagen, unbedingt machen. Wenn sie aber sagt „Ich habe eigentlich so Angst vor ihm, ich habe so Angst und ich fühle mich der Sache gar nicht gewachsen”, dann würde ich sagen, auf keinen Fall sich der Situation aussetzen. Warum? Dann kann ich es auch schriftlich machen. Und wenn ich es irgendwann anzeige, geht die Polizei ja hin, um ihm das zu sagen, dann würde ich mich der Situation auf keinen Fall aussetzen.

Als Fazit für alle mitgenommen: Standhaft bleiben, die eigene Position deutlich machen, alles dokumentieren und nicht auf das eingehen, was die andere Person macht.

Absolut.
Hast du die in diesem Interview besprochenen Erfahrungen in gleicher oder ähnlicher Form selbst gemacht – oder kennst eine akut betroffene Person? Dann wende dich gerne an die hier hinterlegten psychologischen Ansprechpersonen oder eine Beratungsstelle. Auf beiden Wegen kannst du dich jemandem (anonym) anvertrauen und Unterstützung finden.

Nun hast du viele hilfreiche Informationen zum Erkennen von Stalking und juristischen Handlungsmöglichkeiten erhalten. Informiere dich gerne in den weiteren Interviews hier in der Mediathek, wenn du z.B. mehr über die Perspektive von Betroffenen, Täter:innen, Stalking in einer Intimpartnerschaft oder Stalking am Arbeitsplatz erfahren möchtest.
Dieser Artikel wurde von Evermood erstellt und zuletzt am aktualisiert.
Universität Stuttgart

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