Achtsamer Umgang mit Sterneneltern am Arbeitsplatz

Interview
Wieso ist eine achtsame Kommunikation rund um das Thema Schwangerschaft ganz allgemein wichtig? Und was kann ich speziell am Arbeitsplatz in der Rolle des Kollegen, der Kollegin oder der Führungskraft tun, um eine betroffene Person von frühem Kindsverlust möglichst gut zu unterstützen? Diesen und weiteren Fragen widmet sich dieses Interview mit Ines Fuchs, einer Diplompsychologin, approbierten Psychotherapeutin und Fachbuchautorin.
Im Laufe dieses Interviews werden Sterneneltern (von frühem Kindsverlust betroffene Eltern) oft in der gemischtgeschlechtlichen Form angesprochen. Trotzdem sollen explizit Elternteile aller Geschlechter sowie Geschlechtsidentitäten eingeschlossen werden, die direkt oder indirekt von einem frühen Kindsverlust betroffen sind.

Warum ist eine achtsame Kommunikation rund um das Thema Schwangerschaft überhaupt wichtig?

Also abgesehen davon, dass es jetzt nicht so schmeichelhaft ist, wenn ich bei einer Gewichtszunahme fälschlich als schwanger eingestuft werde, kann das Thema Schwangerschaft für viele belastend sein. Ich habe es auch schon selbst erlebt oder mitbekommen, dass dann zum Beispiel ältere Kolleg:innen z.B. auf einer Feier so angesprochen werden: „Ja, wie sieht’s denn aus und wann kriegt ihr denn endlich mal ein Kind?” Und möglicherweise hat ja die Frau einen Kinderwunsch, bei dem der Partner bzw. die Partnerin nicht mitzieht oder vielleicht auch umgekehrt und das ist ein riesiges Thema in der Beziehung. Oder vielleicht sind auch die finanziellen oder beruflichen Voraussetzungen gerade ganz schlecht. Oder ein:e Partner:in fehlt oder lebt weit weg. Oder die Frau versucht schon ganz lange schwanger zu werden und weiß, dass sie keine Kinder bekommen kann, bzw. hat eine Fehl-, Totgeburt oder eine Abtreibung erlebt. Deshalb würde ich das jetzt echt nicht als Party-Small-Talk-Thema nutzen, sondern das ist halt was intimes. Und deshalb würde ich das auch eher mit Leuten ehrlich und intim besprechen, die mir auch nah stehen. Weil das sonst tendenziell auch einfach übergriffig und verletzend sein kann. Ich hoffe, dass da manche Leute noch ein bisschen sensibler werden.

Das ist also (trotzdem) kein Thema, was pauschal tabuisiert werden sollte?

Genau, auf keinen Fall tabuisiert, aber es sollte eben im richtigen Rahmen besprochen werden.

Wie kann ich mich denn vor allem als Kollege oder Kollegin gut und achtsam der betroffenen Person gegenüber verhalten, wenn sie nach einem frühen Kindsverlust zurück an den Arbeitsplatz kommt?

Ich würde sagen, es ist abhängig von der persönlichen Beziehung. Und es ist auch gar nicht so leicht, eine konkrete Empfehlung zu geben. Also natürlich, wenn ich von der Schwangerschaft wusste, dann ist es schön, wenn ich sage: „Das tut mir leid.” Man kann ja auch sehr eng befreundet sein auf der Arbeit, dann würde ich die Person auch in den Arm nehmen, oder vielleicht haben wir sogar vorher schon gesprochen. Wenn das jetzt ein späterer Verlust ist, dann würde ich auch „Mein Beileid” wünschen, außer es wurde vorher anderweitig kommuniziert. Es kann ja auch sein, dass eine Frau, die in einer sehr großen Organisation arbeitet, auch nicht permanent auf ihren Verlust angesprochen werden und es vielleicht nur wenigen Kolleg:innen offenbaren möchte. Das sollte auch akzeptiert werden, dass das so das Emotionale ist. Ich würde aber auch, wenn ich das weiß, fragen, ob ich am Anfang irgendwie entlasten kann, ob ich vielleicht auch bestimmte Aufgaben übernehmen kann. Mir fällt sowas ein wie: die betroffene Person hat vielleicht Kundenkontakt, hat sich da vielleicht auch schon in den Mutterschutz verabschiedet und jetzt ist sie wieder mit diesen Kunden im Gespräch und möchte sich vielleicht da nicht jedes mal mit der schwierigen Situation konfrontieren. Vielleicht kann ich da die Kommunikation oder auch einen Kunden übernehmen. Und ja, es ist auch wieder so eine Balance zwischen: Ich unterstütze, aber ich lasse die Frau auch sein. Also, ich möchte ja vielleicht nicht permanent mit dem Thema konfrontiert sein. Ich möchte auch arbeiten und auf der Arbeit eine Ablenkung finden. Ja, vielleicht im Hinterkopf zu behalten, dass es vielleicht auch länger dauert, bis es der Kollegin wieder ganz gut geht. Auch nach einem frühen Verlust kann ja auch hormonell einiges in eine Schieflage geraten. Und das braucht seine Zeit. Und ganz wichtig ist es, nicht zu vergessen, dass die Männer natürlich auch unter dem Verlust eines Kindes leiden. Das wird manchmal so ein bisschen weggeschoben. Also da kann auch die Belastbarkeit einfach eingeschränkt sein, oder vielleicht reagiert er auch nicht immer so angemessen. Da Verständnis für zu haben, ist wichtig.

Außenstehende sollten also Verständnis haben und schauen, ob das ein Thema ist, was angesprochen werden kann? Vielleicht kann das auch im Vorhinein durch die Führungskraft abgeklärt werden?

Genau, ich finde, es ist auch Führungsaufgabe. Die Führungskraft sollte da im Vorfeld auf jeden Fall das Gespräch suchen und da auch gezielt fragen, welche Art der Kommunikation sich die Mitarbeiterin wünscht. Und das ist wahrscheinlich auch eher relevant bei späteren Verlusten, wo die Schwangerschaft irgendwie bekannt oder auch sichtbar war, als jetzt bei sehr frühen, natürlich. Aber ich sehe das auch viel als Führungsaufgabe an: Wie können Aufgaben erstmal umverteilt werden? Und ich denke, das sollte von vornherein von der Führungskraft gut geplant sein, damit die Mitarbeiter:innen auch wissen, wie sie sich da jetzt am besten verhalten sollen. Und da würde ich auch jetzt immer wieder in die Rolle der Führungskraft kommen: Im Gespräch fragen, in welchem Rahmen wünscht sich die Frau die Rückkehr, vielleicht auch mehrmals zu telefonieren oder sich einmal zu treffen, um auch diese Hürde so ein bisschen herabzusetzen und ein gemeinsames Vorgehen zu planen. Allerdings würde ich da auch sagen, dass man der Mitarbeiterin erstmal Zeit gibt, zum Genesen, Orientieren und diesen Schock erstmal zu verarbeiten. Weil sich ja die Vorstellungen vom Wiedereinstieg vielleicht auch noch ändern können. Vielleicht besteht am Anfang noch die Idee: Boah, ich möchte jetzt sofort wieder zurück und irgendwie so tun, als wäre nichts. Und dann merke ich, ich brauche aber vielleicht doch die Zeit.

Wie kann ich als Führungskraft sensibel darauf eingehen, dass die Person vielleicht schon wieder am Arbeitsplatz ist, obwohl sie noch ganz in Trauer ist?

Prinzipiell gibt es schon die Möglichkeit, auch länger Krankzuschreiben. Auch wenn es da irgendwie körperliche oder psychische Probleme gibt. Da würde ich mich als Betroffene an den Hausarzt bzw. die Hausärztin wenden. Und ich würde auch als Führungskraft der Frau kommunizieren, dass es die Möglichkeit einer Beruflichen Wiedereingliederung gibt. Das würde ich sowieso – gerade, wenn die Belastbarkeit noch nicht so da ist – auf jeden Fall erwägen. Da kann man dann – für Angestellte gilt das zumindest – an den Arbeitsplatz zurückkehren. Das wird erstmal über das Krankengeld, über die Krankenkasse finanziert, also ich bekomme in der Zeit nicht das Gehalt über einen Arbeitgeber sondern über die Krankenkasse. Und dann habe ich die Möglichkeit, wirklich ganz frei zu gucken: Wie komme ich überhaupt zurecht? Fange ich erstmal mit wenigen Stunden an? Und das kann man dann in Absprache mit dem Arzt bzw. der Ärztin staffeln und hoch setzen. Das würde ich mir auf jeden Fall auch als Führungskraft überlegen, ob das eine Möglichkeit sein kann. Auch Möglichkeiten der Aufgabenumverteilung, wie gesagt. Ich wäre auch so ein bisschen kritisch, wenn eine sehr schnelle Rückkehr (z.B. bei einem sehr späten Verlust) angestrebt wird. Dann würde ich zumindest mal nach Gründen fragen, um so ein bisschen die Belastbarkeit und Überforderung vermeiden zu wollen, damit es für beide Seiten ein erfolgreicher Wiedereinstieg werden kann. Auf der anderen Seite ist es halt auch ein super privates Thema und es ist auch ganz wichtig, vielleicht nicht zu viele private Details einzufordern und auch die Entscheidung der Frau zu respektieren. Wenn sie sich nach einer Bedenkzeit dazu äußert, dass sie zurück an den Arbeitsplatz möchte und sie sich auch stabilisieren kann, dann würde ich das auf jeden Fall respektieren und auch Unterstützung signalisieren. Und mich dann recht kurz nach dem Wiedereinstieg erkundigen: Läuft das irgendwie ganz gut? Müssen wir irgendwas anpassen? Im Verlauf auch mal das Gespräch suchen. Aber wie gesagt, auch so ein bisschen wieder die Balance zwischen Unterstützung und Normalität berücksichtigen. Die Frau will auch nicht permanent wie ein rohes Ei behandelt werden. Irgendwie schon ab und an Unterstützung signalisieren, aber sie auch irgendwie als Arbeitnehmerin ganz normal wirken lassen. Aber so Sachen wie Geburtsverletzungen können ja auch da sein: Kaiserschnitt, hormonelle Umstellungen, Abstillen. Dass ich das auch nochmal im Hinterkopf habe, was so ein später Verlust auch körperlich und seelisch bedeuten kann. Ich würde ebenfalls damit rechnen, dass es auch mal ein halbes oder Dreivierteljahr später – vielleicht kommt nochmal eine verzögerte Trauerreaktion, muss aber auch gar nicht.

Es ist auf jeden Fall eine ganz schwierige Situation. Aber da gilt: Offen sprechen, Halt und Unterstützung signalisieren, im Gespräch bleiben. Und dann ist das denke ich gut handhabbar.

Beschäftigt dich dieses Thema aktuell oder kennst du eine Person, die vielleicht sogar akut von einem Kindsverlust betroffen ist? Dann findest du weitere Informationen rund um die Thematik der Fehlgeburt, Folgeschwangerschaft oder des Kindsverlustes hier in der Mediathek. Du kannst natürlich auch jederzeit unsere hier eingebundenen psychologischen Ansprechpersonen kontaktieren, wenn du ein vertrauliches Gespräch führen möchtest. Für die Zukunft wünschen wir dir alles Gute!
Dieser Artikel wurde von Evermood erstellt und zuletzt am aktualisiert.